1753 - Die Ninja-Teufelin
Der Angler sagte nichts mehr. Alles würde seinen Lauf nehmen, darauf setzte er. Sein Blick glitt über den Flussarm bis hin zu der grünen Wand, die ihn vom normalen Fluss trennte. Dahinter wälzte sich der Strom in Richtung Osten und floss seiner Mündung entgegen. In dieser Gegend gab es einige tote Arme, die von Anglern gern aufgesucht wurden.
Nicht an diesem Tag. Da war der alte Mann der Einzige, der am Ufer auf seinem kleinen Tuchschemel hockte. Er hatte zwar die Angel ins Wasser gelassen, aber nichts gefangen. Es war ihm zudem egal. Er brauchte den Fisch nicht. Das Angeln war für ihn mehr eine Flucht vor der Hektik der normalen Welt. Hier konnte er seine Gedanken kreisen lassen und über alles nachdenken.
Dabei war das Angeln zur reinen Nebensache geworden. Für ihn waren die anderen Dinge des Lebens wichtiger. Sein Wissen, seine Menschenkenntnis. Er wusste über das Böse ebenso Bescheid wie über das Gute. Er wusste viel, doch er gab nichts nach außen hin preis. Es blieb sein Geheimnis, aber er wusste auch, dass man oft weniger mit den Augen sah als mit den anderen Sinnen.
Cori Feen saß jetzt neben ihm. Er warf ihr einen knappen Blick zu und lächelte sie mit geschlossenen Lippen an.
»Du bist eine schöne junge Frau geworden.«
»Danke.«
»Selbst meine alten Augen erkennen das. Dein fein geschnittenes Gesicht, die dunklen Pupillen, dein Körper, der so biegsam wie Federstahl ist – alle Achtung, aus dir ist etwas geworden.«
»Danke. Aber ich bin nicht perfekt.«
Der alte Mann seufzte. »Wer ist das schon? Kein Mensch kann es sein. Da kannst du noch so alt werden, es ist nicht zu schaffen. Ich habe es früher auch mal geglaubt, doch ich musste erst Erfahrungen sammeln, und ich bin weise geworden.«
»Ich will es auch werden.«
Der Alte schüttelte den Kopf. »Du hast mich nicht ausreden lassen, ich wollte weise werden. Es ist mir nicht gelungen. Die Welt hat ihre meisten Geheimnisse für sich behalten. Nur einen winzigen Teil habe ich mir erarbeiten können.«
»Mehr als ich.«
»Das weiß ich nicht.«
»Ich weiß es. Und ich weiß auch, dass du mir helfen kannst. Deshalb bin ich zu dir gekommen.«
Der Angler drehte seinen Kopf. Die Wollmütze ließ nur sein Gesicht frei, und als er den Kopf schüttelte, da bewegten sich auch seine Augen. Man konnte nicht von einem bösen Blick sprechen, aber schon von einem durchdringenden, und der hakte sich an Cori Feens Gesicht fest.
»Du willst etwas wissen, Cori, und ich weiß nicht, ob ich dir helfen kann.«
»Wieso nicht?«
»Manchmal gelingt es mir, bis in die Seelen der Menschen zu schauen, die sich in meiner Nähe befinden.«
»Auch in meine?«
»Ja, Kind.«
»Und?«
Der Angler seufzte. »Ich weiß nicht, ob du es wirklich wissen möchtest.«
»Doch, doch, das möchte ich wissen, ich – ich bin so gespannt, verstehst du?«
»Ja, ich verstehe das alles. Du hast etwas vor. Du hast einen Plan, aber ich sage dir schon jetzt, dass er nicht gut ist.«
»Und woher willst du das wissen?«
»Ich spüre es. Außerdem lese ich es in deinen Augen. Sie sind der Spiegel deiner Seele. Du willst mächtig werden. Stark und unbezwingbar, aber nicht jeder Mensch ist dazu geeignet, Macht auszuüben. Ich denke, dass du nicht dazugehörst.«
»Wie kannst du das behaupten?«
»Ich sehe es dir an. Ich kann es zudem spüren. Das ist nun mal so, wenn man so alt geworden ist wie ich.«
»Und du weißt viel.«
»In der Tat, Cori Feen.«
»Das ist wiederum gut für mich, denn ich möchte von deinem Wissen profitieren.«
Der Angler nickte. »Deshalb bist du gekommen.«
»Ja.« Cori Feen strich über die Mütze des Mannes. »Wir sind nicht mehr in unserer Heimat. Die haben wir praktisch verloren, aber die alten Traditionen leben nach wie vor. Das weißt du genau, denn du hast sie gelehrt, Canto.«
»Ach, vergiss es. Das liegt lange zurück. Ich will nichts mehr davon wissen.« Er zupfte einige Grashalme aus dem Boden und knickte sie. »So sieht es aus, Cori. Es ist vorbei. Die Dinge ruhen.«
»Sind sie tot?«
»Nein, das nicht. Aber man braucht sie nicht mehr. Die Welt hat sich verändert.«
»Das glaube ich nicht!«, zischte Cori Feen. »Das kannst du mir nicht erzählen. Sie sind nicht tot, ganz und gar nicht, es gibt sie noch, und ich will, dass sie wieder anfangen zu leben. Ich werde die alten Zeiten zum Leben erwecken. Ich habe viel über sie gehört und auch gelesen. Das hat mich sehr beeindruckt. Und ich weiß, dass noch nicht alles verloren
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