Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
Vom Netzwerk:
unmöglich, rauszukriegen, woraus mein Fragment ist. Es sind nämlich über 28000. Und heute Nacht habe ich versucht, meinem Fragment alle Arten laut aufzuzählen, damit es sich mir offenbart.«
    Rufus hörte auf zu kauen. »Du hast was?«
    No nickte. »Ja, genau. Aber ich bin nur bis D gekommen, weil ich eingeschlafen bin. Und dann bin ich ganz früh wieder aufgewacht und wollte mit E weitermachen. Aber, ehrlich gesagt, ich kann nicht mehr …«
    Rufus musste ein Grinsen unterdrücken. »Wie wolltest du das denn überhaupt jemals schaffen?«
    »Wieso? Ich habe mein Fragment in die Hand genommen und gesagt: ›Abaro, Abura, Afrikanischer Padouk, Afrormosia, Agba, Ahorn, Aiele, Akossika, Amaranth, Amarillo, Amberbaum, Amboina Maser, Amerikanische Kirsche‹ …«
    »Hör auf!« Rufus ließ sein Brötchen fallen und hielt sich die Ohren zu. »Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
    »Doch natürlich«, sagte No trotzig. »Irgendwann muss ja das richtige Holz dabei sein. Und wenn ich seinen Namen laut sage, dann passiert auch bestimmt was.«
    »Aber das waren erst 13 Arten, und bis du alle 28000 durch hast, kann es noch eine ganze Weile dauern.«
    No seufzte wieder. »Ich weiß.«
    »Und außerdem sind wir doch gleich bei Meister Hardy und Meisterin Abel in Antike Ballsportarten zum Ludere raptim verabredet.«
    »Das weiß ich auch«, sagte No düster.
    »He, No!« Rufus grinste seinen Freund an und hob das Brötchen wieder zum Mund. »Lass mal den Kopf nicht so hängen. Wir finden schon einen anderen Weg, um rauszufinden, was für eine Holzart das ist.«
    »Nein!«, brummte No mürrisch. »Nicht wir! Ich muss das alleine schaffen! Sonst bekomme ich nie eine Flut zu Gesicht.«
    »Aber wir waren doch schon zusammen in einer Flut.«
    »Aber nicht in meiner. Nicht von meinem Fragment!«
    Schlagartig war Rufus alles klar. No war bei ihrer ersten Flut dabeigewesen, aber ausgegangen war sie von Rufus’ und Filines Fragmenten. Und jetzt wollte No seine eigene Flut auslösen, eine, die mit seinem Fragment zu tun hatte. Aber das bedeutete ja nicht, dass er ganz alleine auf die richtige Spur kommen musste.
    »Wissen«, sagte Rufus etwas altklug, »ist das einzige Gut, das sich vermehrt, wenn man es teilt.«
    »Oh, Mann!« No sah ihn genervt an. »Was soll denn der blöde Spruch?«
    »Entschuldige mal, das ist überhaupt kein blöder Spruch, sondern die reine Wahrheit. Aber wenn dich das nicht interessiert und du es unbedingt auf deine Art versuchen willst, dann kann ich dir zumindest helfen, alle Holznamen einmal laut zu sagen. Dann hat jeder nur noch 14000 vor sich …«
    »Sehr komisch!« No grinste müde.
    Aber Rufus ließ sich nicht beirren. »Und wenn Filine auch noch mitmacht, dann bleiben für jeden nur noch 9300 und ein paar Zerquetschte. Wo ist sie eigentlich? Sie wollte doch auch mit zum Ludere raptim.«
    No hob die Schultern. »Keine Ahnung, seit sie ihre Pharaoninnenurgroßmutter kennengelernt hat, hält sie sich doch sowieso für was Besseres.«
    Rufus verdrehte die Augen. »Mann, No, du bist heute Morgen echt ungenießbar.«
    »Na und?« No leckte sich den Honig vom Finger und stopfte dann ein Brötchen hinterher. Schweigend kaute er darauf herum.
    Rufus setzte sein Frühstück ebenfalls ohne ein weiteres Wort fort. In den letzten Tagen hatte er Filine auch nur selten zu Gesicht bekommen. Nach ihrer gemeinsamen Flut hatte sie begonnen, sämtliche Hieroglyphen, die sie im Palast der Anchetcheprure an den Wänden gesehen hatten, aus dem Gedächtnis in ein großes Buch zu übertragen. Rufus konnte das sehr gut verstehen. Er zog sich auch immer wieder zurück, um zu zeichnen oder zu lesen. Und außerdem war Filine schließlich wirklich eine Urenkelin der Pharaonin. Es wusste niemand außer No und ihm, und sie hatten Filine schwören müssen, dass es ihr Geheimnis bleiben würde, aber Filine stammte in direkter Linie von den Pharaonen ab, und Anchetcheprure war ihre 94. Urgroßmutter gewesen.
    Rufus selbst hätte auch alles wissen wollen, was das Leben seiner 94. Urgroßmutter betraf, wenn er die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Aber dann war Filine bei ihrem Studium auf einen Bericht über altägyptische Himmelsvermessung und Sternendeutung gestoßen. Und seitdem beschäftigte sie sich auch noch mit Sternenkonstellationen.
    »Vielleicht hat sie wieder in den Sternen gelesen und verschlafen?«, schlug Rufus lächelnd vor. Er tunkte sein drittes Brötchen in den Honig, bestreute es mit Salz und biss kräftig hinein.
    No

Weitere Kostenlose Bücher