Die Stunde des Venezianers
Vermutung, dass die beiden Schurken sich an Colard heranmachen würden, lag er vermutlich richtig. Er musste sich darum kümmern, dass sie gefunden wurden. Niemand sonst tat es. Man glaubte, den alleinigen Täter bereits gefasst zu haben.
Im Hause Cornelis empfing ihn Colard mit fast ängstlicher Zurückhaltung.
»Ich war gerade im Begriff, Herrn ben Salomon aufzusuchen«, begann er ohne Umschweife. »Es gibt Neuigkeiten, die ich berichten muss.«
Er reichte Contarini ein schmuddeliges, mehrfach gefaltetes Papier mit ungelenken Schriftzügen. Die Botschaft enthielt nur wenige Zeilen.
›Euer Vater schuldet uns eintausend Goldflorin. Wenn Ihr an Eurem Leben hängt, dann bezahlt …‹
Contarini sah auf. »Woher kommt das?«
»Ein Unbekannter hat es für meine Frau abgegeben. Nach der Beschreibung des Lehrjungen, der ihn gesehen hat, könnte es Jaak gewesen sein. Gleitje ist im Hospital der Beginen, deshalb kam die Nachricht zu mir.«
»Eure Frau ist krank, wie ich gehört habe.«
»Ein Nervenfieber. Sie gibt sich die Schuld am Tod ihres Vaters. Mir ist es nicht gelungen, sie zu beruhigen.«
Contarini las den Rest der Botschaft, der sich auf die Übergabe der geforderten Summe bezog. In Kortes Wohnhaus wollten sie seine Tochter treffen.
»Welch absurde Idee. Sie scheinen sich ihrer Sache sehr sicher zu sein.«
»Im Augenblick steht es leer, und ich habe es verschlossen, bis Gleitje darüber befindet, wie es weitergehen soll. Die Bediensteten haben fluchtartig das Weite gesucht. Keiner hat sich dort mehr sicher gefühlt. Nur noch eine alte Köchin und ein Pferdeknecht haben die Stellung gehalten.«
»Das wird Probleme geben«, verriet Contarini. »Klaas hat unter der Tortur ein umfassendes Geständnis abgelegt. Er hat auf Befehl seines Onkels nicht nur auf Aimée geschossen, sondern auch den Brigantentrupp des Godfroy Galsdale angeheuert, um Euren Wagenzug zu überfallen. Korte dachte, er könne Galsdale um seinen Lohn prellen, aber da hat er Galsdale unterschätzt. Er geht über Leichen, um an sein Gold zu kommen. Da Eure Frau die Erbin ihres Vaters ist, wendet sich der Mörder nun an sie.«
»Sie verlangen, dass meine Frau das Gold allein übergibt. Das ist unmöglich. Sie ist nicht nur krank, sondern zudem in der Hoffnung.«
»Dann werdet Ihr helfen müssen, die Sache zu Ende zu bringen, de Fine.«
»Ihr wollt diesem Mann tatsächlich seinen Mordlohn geben?«
»Seinen gerechten Lohn«, entgegnete Contarini.
»Fährt das Fuhrwerk zurück in die Stadt?«
Anfangs hatte Aimée sich lediglich über den Karren gewundert, der vor Nathan Simonides' Haus hielt und so kostbare Dinge wie Feuerholz, Getreidesäcke und Amphoren voller Öl entlud. Dann jedoch war Lison mit der Neuigkeit bei ihr erschienen, dass der Karren vom Walplein kam. Contarini hatte ihn geschickt, um Nathan Simonides für seine Mühe zu danken. Und der sei hocherfreut und seine Frau ganz aus dem Häuschen vor Freude gewesen.
Lisons Information hatte für Aimée die Sache entschieden. Sie wollte nicht länger untätig in Damme auf Neuigkeiten warten, die anscheinend nie eintrafen. Sie hatte es Domenico versprochen, aber das war schon vier Tage her. Seit dem schwieg er. Warum. Weil ihm etwas zugestoßen war. Sie hielt die Ungewissheit nicht mehr aus. Es zog sie mit solcher Gewalt in die Stadt, dass sie weder Lisons Einwände noch das Machtwort des Arztes davon abhalten konnten, ihren Platz zwischen den Wein- und Fischfässern einzunehmen, die das Fuhrwerk für den Rückweg in die Stadt geladen hatte.
Die Fahrt mit dem Ochsenfuhrwerk kostete Aimée mehr Kraft, als sie erwartet hatte. Sie bereute ihren Entschluss dennoch nicht.
Als sie gegen Abend am Walplein steif vom Wagen kletterte und an das Portal klopfte, stank sie nach Fisch. Wie immer, wenn sie sich heimlich alleine auf den Weg machte, trug sie Arbeitskleider von Lison und eine gewöhnliche Leinenhaube. Die Wachen am Stadttor hatten sie so für eine Magd gehalten und ihr keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Der Türwächter am Walplein hielt sie jedoch auf, als sie einfach ins Haus spazieren wollte.
»Bringt mich zu Herrn Abraham ben Salomon.«
»Erwartet er Euch?«
»Nein, aber er wird mich dennoch sehen wollen. Bittet ihn herunter. Oder ist Herr Contarini im Hause?«
»Ich …«
»Frau Cornelis!«
Salomon trat hinter ihr ins Haus und bedeutete dem Knecht mit einer Handbewegung, dass er sich um die Besucherin kümmern würde.
»Seid Ihr das wirklich? Was macht Ihr
Weitere Kostenlose Bücher