Die Stunde des Venezianers
habt Ihr mir eröffnet, dass Ihr Alain von Auxois Euer Wort gegeben habt. Ich respektiere das. Er ist ein ehrenwerter Mann, und er wird Euch auf Händen tragen.«
»Verstehe ich Euch richtig?«
Contarini wollte ihr die Hände entziehen, aber sie ließ es nicht zu. Sie erkannte, dass er den Ausbruch seiner Gefühle bereits bereute.
»Vergesst, was ich gesagt habe, Frau Cornelis. Erlaubt mir lediglich, Euch zu helfen.«
Aimée hielt ihn fest.
»Ich werde Alain von Auxois nicht zum Mann nehmen. Meine Nachricht muss ihn schon erreicht haben. Ich habe Euch in ihm gesucht, wie ich schon lange weiß. Ich liebe Euch. Ich liebe Euch, ob Ihr verheiratet seid oder nicht.«
Aimées Augen sagten die Wahrheit. Sie liebte ihn. Qualvoll langsam zog er ihre ineinander verschlungenen Hände an seine Lippen. Die sanfte Berührung löste eine verlangende Sinnlichkeit in ihr aus. Sie würde ihm nicht widerstehen können, wenn er zum Ehebruch bereit war.
»Ihr beschämt mich mit Eurer Offenheit und macht mich glücklich, Aimée. Wollt Ihr mir die Ehre erweisen, meine Frau zu werden?«
»Eure Frau? Warum quält Ihr uns? Ihr seid verheiratet.«
»Catarina starb im Frühjahr bei der Geburt unserer Tochter. Sie ist ihr nach wenigen Tagen ins Grab gefolgt. Ich habe es verschwiegen. Was hätte es genützt, es Euch zu sagen. Ihr wart vergeben.«
»Domenico.« Zum ersten Male wagte Aimée den Namen laut auszusprechen und ihren Gefühlen nachzugeben. »Mir fehlen die Worte. Es muss furchtbar für dich sein. Es tut mir so unendlich leid für dich. Ich möchte am liebsten mit dir weinen.«
Der Verlust ihres eigenen Kindes wurde ihr schmerzlich bewusst. Sie empfand seinen Schmerz nahezu körperlich. Sie konnte ihm nur ihr Schweigen und ihre Nähe als Trost bieten und ihr vertrauliches Du.
»Ich bin frei, bin Herr meiner Entscheidungen. Ich habe meine Verpflichtungen gegenüber meinem Onkel erfüllt, und ich werde in Brügge leben, denn sicher willst du die Stadt, in der du dir deinen Platz so hartnäckig erkämpft hast, nicht wieder verlassen.«
Zu plötzlich wendete sich ihr Schicksal. Durfte sie es glauben, annehmen?
Er war immer für sie da gewesen. Er hatte sein Wort über den Tod ihres Onkels hinaus gehalten. Er hatte ihr mit Worten seine Liebe gestanden, die ihn verwundbar gemacht hätten, hätte er ihre Liebe nicht schon gehabt. Wem sonst konnte sie vertrauen, wenn nicht ihm? Sie wollte ihrem Herzen folgen, ohne den Verstand zu verlieren. Nicht noch einmal.
Wem war sie Rechenschaft schuldig? Dem Herzog, der Herzogin, Colard? Sie waren Teil ihres Lebens, und sie konnten es auch bleiben. Der Herzog war ihr wohlgesonnen, die Herzogin war ihr fast eine Freundin. Und Colard? Sie hatte ihm nie Böses gewollt, und er vermutlich auch ihr nicht. Sie konnte ihn einschätzen. Er hatte diesen falschen Ehrgeiz, aber darüber hinaus war er irregeleitet. Warum sollte sie dem, den sie liebte, nicht das Jawort geben, wenn er sie auch als Herrin des Handelshauses Cornelis akzeptierte.
Sie wusste, dass man das Glück nicht zwingen kann. Aber sie wusste auch, dass man es haben wollen, beim Schopf packen und möglichst festhalten musste, wenn es einem begegnete.
»Es ist nicht meine Absicht, Euch zu bedrängen«, vernahm sie Domenicos feste Stimme. Er löste sich aus ihren Händen. »Trefft Eure Entscheidung unbeeinflusst und in größter Ruhe.«
»Ich habe sie getroffen, Venezianer. Frag mich noch einmal, ob ich deine Frau werden will.«
Behutsam drückte er sie auf die gepolsterte Bank vor dem Fenster, kniete vor ihr nieder und küsste ihr die Augen.
»Möchtest du bitte meine Frau werden?« flüsterte er.
Sie zog ihn zu sich. »Ja. Ich möchte am liebsten für immer in deinen Armen liegen.«
Er hielt sie fest.
Nach einer schier endlosen Zeit fanden sie wieder Worte. »Du bist noch sehr schwach, Aimée.« Er spürte besorgt ihre Zerbrechlichkeit. »Ich habe dich überfallen und muss dir jetzt auch noch gestehen, dass ich dich noch einmal alleine lassen muss. Es ist an der Zeit, gegen deine Feinde zu Felde zu ziehen. Erst dann werden wir frei sein, unser Glück gemeinsam zu feiern. Abraham hat Klaas Kortes Spur aufgenommen. Wenn wir ihn fassen, werden wir auch Näheres über den geheimnisvollen Mörder herausfinden, der in Brügge sein Unwesen treibt.«
Aimée hob fragend die geschwungenen Brauen. »Welcher Mörder?«
Nach und nach entlockte sie ihm die Neuigkeiten, die ihr Abraham bisher verschwiegen hatte. Er musste seine ganze
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