Die Stunde des Venezianers
ein Tag.
Atemlos vor Glück. Niedergeschlagen in Trauer.
Schlagartig wurde sie von düsteren Befürchtungen eingeholt. Sie hatte schon um so viele Menschen weinen müssen. Wer würde der nächste sein? Sie wagte nicht, einen Namen zu denken. Sie hatte Angst, das Unglück damit auf ihn zu ziehen.
51. Kapitel
B RÜGGE , 21. J ULI 1372
Die rötliche Glut in den beiden Kohlebecken beleuchtete die Szenerie und die bedrohlichen Gerätschaften an Wänden und auf Tischen.
Contarini besuchte den Kerker des Prinsenhofes.
Beklommen folgte er dem Gerichtsdiener des Grafen von Flandern in das Gewölbe mit den Kerkerzellen, in dem der Henker seine Arbeit tat.
Klaas Korte hatte längst jede Ähnlichkeit mit dem stürmischen Draufgänger verloren, den die Stadtwache in einem Hurenhaus am Minnewaterhafen gefangengenommen hatte.
»Er hat gestanden«, berichtete der Henker zufrieden, während seine Gehilfen den wimmernden Mann vom Querbalken banden. »Der Schreiber hat alles notiert.«
Der jämmerliche Anblick erstickte Contarinis Wunsch nach Rache im Keim. Zu sehen, wie die Männer Klaas Korte zwangen, sein Geständnis auch noch mit gebrochener Hand zu unterschreiben, drehte ihm den Magen um.
»Was wird mit ihm geschehen, Schreiber?«, fragte er, als sie ihn fortbrachten.
»Darüber entscheidet der Graf beim nächsten Gerichtstag«, antwortete der Schreiber, der das Verhör geleitet hatte. Missbilligend ließ er zu, dass Contarini Klaas' Aussage las. »Ich habe strenge Anweisung, Sorge dafür zu tragen, dass der Anschlag auf den Herzog von Burgund, der ihm zur Last gelegt wird, keinesfalls an die Öffentlichkeit dringt. Er wird allein wegen Mordes an Korte, Conzett und dem Hansehändler angeklagt. Das reicht ohnehin. Auch er kann nur einmal sterben.«
»Ist es denn sicher, dass er die Morde auf dem Gewissen hat? Er beschuldigt einen Söldnerführer, Godfroy Galsdale. Angeblich hat er ihn auf Befehl seines Onkels angeheuert, einen Wagenzug des Handelshauses Cornelis zu überfallen. Da der den vereinbarten Sold nicht erhielt, soll er sich mit dem Hausknecht Jaak verbündet haben.«
»Ihr müsst mir nicht erzählen, was ich geschrieben habe, Messer Contarini. Klaas ist der Einzige, der sowohl in Anselm Kortes Nähe als auch in der von Balduin Conzett gesehen wurde. Er war der Handlanger des alten Korte, der seine schmutzigen Aufträge erledigen musste. Die Geschichte vom Söldner, den er im Auftrag seines Onkels angeheuert hat, ist meines Erachtens reine Erfindung. Er hat seinen Onkel und Conzett aus purer Habgier ermordet.«
»Und wenn er nun doch die Wahrheit gesagt hat? Ihr habt ihn der Tortur unterzogen, danach lügt keiner mehr.«
»Ich glaube ihm trotzdem nicht. Fast jeder kennt die Untaten der Mordbrenner um den berüchtigten Godfroy Galsdale. Er treibt seit Monaten sein Unwesen an der Grenze von Flandern zum Königreich Frankreich. Klaas Korte weiß, dass man diesen Schurken nie fassen und einer Tortur unterziehen kann.«
»Und was ist mit dem Hansehändler?« Contarini merkte zu seinem eigenen Erstaunen, dass er Klaas verteidigte. »Warum hätte er ihm die Kehle durchschneiden sollen? Es passt nicht ins Bild.«
»Wer weiß das schon. Es sind Händler. Sie schachern um die unglaublichsten Dinge.«
Die Verachtung des gräflichen Schreibers für die bürgerlichen Händler war unüberhörbar. Für ihn war Klaas Korte ein dreifacher Mörder.
Es lag Contarini auf der Zunge, noch etwas zu sagen, aber dann schwieg er besonnen. Es gab Wichtigeres zu tun, als sinnlose Streitgespräche mit ihm zu führen. Noch befanden sich Galsdale und Kortes Knecht Jaak in Freiheit. Es würde nicht ihre letzte Mordbrennerei gewesen sein, zumal Jaak die Familie Korte kannte und wusste, wem nun das Vermögen des Alten zustand.
»Ich danke Euch für Eure Informationen«, sagte er stattdessen höflich.
»Ich bin lediglich dem Befehl des Grafen von Flandern nachgekommen, Euch und Abraham ben Salomon einen Einblick zu geben«, entgegnete der Schreiber. Man hörte ihm an, dass er es mit Widerwillen billigte. »Mehr kann ich für Euch nicht tun.«
Contarini verstand das als Aufforderung, die Gewölbe zu verlassen. Er hätte es auch unaufgefordert getan. Es gab genug zu tun.
Die Verhaftung Klaas Kortes war nur möglich gewesen, weil Abraham ben Salomon ihn aufgestöbert hatte. Abraham hatte ihm berichtet, dass Galsdale und der Hausknecht seinen Spähern nur knapp entkommen waren. Sie mussten sich noch in Brügge befinden. Mit seiner
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