Die Stunde des Verfuehrers
Cottage, das war die Wirklichkeit. Mehr hatte sie sich nach Ryans Tod nicht leisten können. Ihr Exmann hatte ihr nämlich keine Millionen vererbt, auch wenn alle anderen fest davon überzeugt waren.
In Wahrheit sammelte sie noch immer die emotionalen und finanziellen Scherben ein, die fünf Jahre Ehe hinterlassen hatten. Die seelischen Narben mochten eines Tages heilen, dank des finanziellen Desasters würde sie jedoch noch sehr lange Zeit sehr hart arbeiten müssen. Ryan hatte einen riesigen Schuldenberg angesammelt. Und da sie bei seinem Tod noch nicht geschieden waren, war der auf Alana übergegangen. Der Verkauf des luxuriösen Hauses in einem der gehobenen Stadtteile Dublins hatte die Schulden nicht einmal annähernd getilgt.
Alana verzog das Gesicht, trank den letzten Schluck Tee und spülte die Tasse aus. Stolz war keine gute Eigenschaft, das wusste sie. Aber nur damit hatte sie sich einen Rest Würde bewahren können. Keiner Menschenseele hatte sie den katastrophalen Zustand ihrer Ehe anvertraut. Niemand wusste von dem Tag, als sie in ihr Schlafzimmer gekommen war und Ryan mit drei Frauen im Bett erwischt hatte – Callgirls, wie sich später herausstell te. Alle vier hatten Kokain genommen. Er war so high, er hatte nicht einmal bemerkt, dass sie es nicht in seinem Schlafzimmer trieben. Zu diesem Zeitpunkt schliefen sie bereits seit drei Jahren in getrennten Betten.
An diesem Tag reichte sie die Scheidung ein.
Aber ihr gerissener Noch-Ehemann sorgte dafür, dass alles so aussah, als habe Alana ihn kaltherzig aus dem Haus geworfen. Sie ahnte nichts von seinen Hintergedanken, als er ihr anbot, statt ihrer auszuziehen. Dabei hätte sie es besser wissen müssen.
Es fiel ihr nicht leicht, sich das Scheitern ihrer Ehe einzugestehen. Es ihrer Familie anzuvertrauen, empfand sie als unmöglich. Der Gesundheitszustand ihres Vaters war damals sehr kritisch, ihre Mutter krank vor Sorge. Wie hätte sie ihre Eltern mit ihren dummen Problemen belasten können? Zum gleichen Zeitpunkt wurde bei einer ihrer älteren Schwestern Brustkrebs diagnostiziert. Alana, als einzige der Geschwister kinderlos, war ins Haus ihrer Schwester gezogen, um ihrem Schwager während Màires Chemotherapie mit den drei Kindern zu helfen.
So waren ihre eigenen Probleme immer weiter in den Hintergrund gerückt. Damals war sie froh gewesen, nicht ständig an die bevorstehende Scheidung denken zu müssen. Jeden noch so kleinen Versuch ihrer Familie, sie danach zu fragen, hatte sie beschämt abgeblockt.
Genau diese Tatsache hatte Pascal gestern intuitiv begriffen. Es war nicht leicht, die Einzige in einer Familie zu sein, die Pech in der Liebe hatte. Anscheinend besaß sie so gut wie keine Menschenkenntnis, vor allem nicht, wenn es um Männer ging.
Alana schlüpfte in ihren Mantel und schnappte sich die Schlüssel. Sie weigerte sich, ihren Gedanken freien Lauf zu lassen. Wohin das führte, wusste sie nämlich genau. Am Ende stand die Frage, was passieren würde, wenn sie Pascal doch wiedersah. Sechsunddreißig Stunden. Pascal stand am Fenster seines Büros im Pariser Vorort La Défense und schaute blickleer auf den Grande Arche, die moderne Variante des Triumphbogens, hinaus.
Seine Gedanken an Alana Cusack nahmen in seinem Kopf Ausmaße an, die sonst für Zahlen und Fakten reserviert waren. Normalerweise konnte er Privatleben und Arbeit recht gut trennen. Bisher war keine Frau jede wache Sekunde in seinem Denken präsent gewesen. Er sehnte sich nach Vergnügen, nicht nach einer festen Bindung. Er liebte seine Freiheit, die Aufregung der Jagd, der Eroberung.
Aber jetzt erfüllte eine grünäugige Hexe in hochgeschlossenen Kleidern, die impertinente Fragen stellte, sein Blut mit heftig pulsierendem Verlangen. Er musste sich so schnell wie möglich wieder von ihr befreien. Bestimmt wurde seine Leidenschaft nur dadurch angefacht, dass sie sich so unnahbar gab. Dadurch er schien sie ihm faszinierender als jede andere Frau.
Ungeduldig fuhr Pascal mit einer Hand durch sein dunkles Haar. Schluss jetzt! Er wandte dem Ausblick den Rücken zu und rief seine Sekretärin ins Büro. Sie hörte seinen Anweisungen aufmerksam zu und notierte die Details. Und sie war professionell genug, um sich nicht anmerken zu lassen, wie ungewöhnlich seine Wünsche diesmal waren.
Denn das waren sie.
„Jemand hat etwas für dich abgegeben, Alana. Es liegt auf deinem Schreibtisch.“
„Danke, Sophie!“ Sie blickte von ihren Notizen auf, um sich bei der Aushilfskraft
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