Die Stunde des Wolfs
entgegenstarrte. Der sich, nachdem der Kapitän wohl zu dem Schluss gekommen war, dass die Steuerung der Noordendam außer Kraft gesetzt war, allmählich nach rechts bewegte. Einige der Passagiere machten mit den Händen Zeichen, macht Platz. Mit einem letzten wütenden Nebelhornsignal glitt der Bug des Eisbrechers in einem Abstand von drei Metern an ihrem Heck vorbei.
De Haan drehte sich gerade wieder zur Brücke um, als er Kovacz den Niedergang hochtaumeln sah. »Melde Schaden«, sagte er. »Die Leute im Maschinenraum hat's erwischt. Das Ding ist ins Schott eingeschlagen, zwei Kessel sind explodiert, der dritte funktioniert noch. Wir haben Tote und Verwundete, eins der Rettungsboote fehlt, und ich kann Kees nicht finden.«
»Und wir haben unser Ruder verloren«, fügte De Haan hinzu. Oben an der Laderaumluke Nummer drei sah er Van Dyck beim Einsatz der Löschtrupps, woraus immerhin zu schließen war, dass der Dampf aus dem letzten intakten Kessel ihnen Druck auf die Schläuche gab.
Was vom Konvoi noch übrig war, bewegte sich nach Osten. Suchscheinwerfer und Flakfeuer, als die Dorniers zum zweiten Angriff kamen.
»Ich geh wieder in den Maschinenraum, Eric«, sagte Kovacz. »Ich nehme mir ein paar Leute zu Hilfe und sehe, was ich tun kann. Ist das Ruder ausgefallen?«
»Rudergestänge in der Führung verklemmt«, sagte De Haan. »Ich wette, dass es das ist.«
»Kann man nicht reparieren.«
»Nein.«
»Demnach fahren wir, wohin der Bug zeigt.«
»Ja, ein Grad West zu Nord.«
»Finnland.«
Die erbarmungslose Schlacht zwischen Schiffen und Flugzeugen fiel nach Osten ab, bis nur noch vereinzelt Feuer am Horizont aufblitzten, ferne Explosionen, ein paar letzte Suchscheinwerfer am Himmel, dann Dunkelheit, und die Noordendam fuhr allein. Auf der Brücke hatte sich die Auffassung durchgesetzt, dass die kleine Flotte erledigt, versenkt war, doch das würden sie nie erfahren. Und es gab eine Menge zu tun. Sie holten gerade einmal zwei Knoten aus dem armen, angeschlagenen Schiff heraus, doch der eine Kessel, aus dem Kovacz das Letzte herauszukitzeln verstand, hielt sie – bei Mitstrom – in Fahrt. Shtern tat, von Passagieren und Besatzung unterstützt, sein Bestes – die Toten wurden ans Achterdeck geschafft und anständig zugedeckt, die Verwundeten in Decken gehüllt und vor dem Wind geschützt. Sie suchten überall nach Kees, zwei vermissten Matrosen und zwei Passagieren, doch sie waren offenbar bei der Dornier-Attacke über Bord gegangen, und seitdem hatte sie niemand mehr gesehen.
Dann war es still auf dem Schiff, und dunkel, da sie ohne Lichter fuhren. De Haan ordnete an, Kletternetze und Gangway herunterzulassen und die Rettungsboote klarzumachen, und teilte die Besatzung in Gruppen ein, die den Passagieren helfen sollten – zuerst den Verwundeten, dann den Frauen und Kindern. Als das erledigt war, machten sich Offiziere und Besatzung daran, ihre Siebensachen zu schnüren.
03.00 Uhr. In See.
Auf De Haans Anordnung hin stellte Mr. Ali den Kontakt mit irgendeiner finnischen Behörde im Hafen von Helsinki oder einem Marinestützpunkt her, sie konnten nicht feststellen, wer genau es war. De Haan meldete sich über Funk und teilte ihnen mit, dass sie Tote und Verwundete an Bord hatten und auf die Inseln westlich von Helsinki an der Südküste zufuhren. Es sei mit keinerlei Widerstand zu rechnen, die Passagiere wie die Besatzung der Noordendam würden sich friedlich ergeben.
Unter welcher Flagge sie denn segelten?
Unter niederländischer Flagge, als mit Großbritannien verbündetes Handelsschiff.
Nun, in diesem Fall sei ergeben eigentlich nicht das richtige Wort. Sicher, Finnland befinde sich, trotz ihres Vertrags, mit Russland im Krieg, und sicher, das machte es zum Verbündeten Deutschlands. Streng genommen. Doch Tatsache sei auch, dass sich Finnland nicht mit Großbritannien im Krieg befinde und dass alle, die finnischen Boden beträten, als Überlebende eines Seeunfalls zu betrachten seien.
Befand sich, wollte De Haan wissen, Finnland im Krieg mit den Niederlanden?
Darauf gedehntes Schweigen, bis sich der Aufsichtsbeamte räusperte und bekannte, das könne er nicht sagen, er müsse erst nachschlagen, doch er glaube eher, Nein.
05.20 Uhr. Vor der finnischen Küste.
Im wässrigen Licht des nördlichen Sonnenaufgangs eine Insel.
Eine dunkle Gestalt, die sich niedrig, flach und dicht bewaldet aus dem Meer erhob. So wie die Brandung weiß an die Felsen schäumte, unterschied sie sich nicht von den
Weitere Kostenlose Bücher