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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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Mercedes mit einem Ofen im Fond, dann drei Marineleutnants nebst Ehefrauen und Kindern und zwei Hunden sowie zwei Katzen. Der stellvertretende Bürgermeister von Liepaja brachte seine Mutter, ihr Dienstmädchen und einen Kommissar. Es folgte ein Dutzend Schrankkoffer, die unter dem wachsamen Auge zweier schnurrbärtiger Männer im Anzug und mit Maschinengewehr in der Hand verladen wurden. Eine jüdische Familie, die Männer mit Kippas, traf in einem Liepajaer Taxi ein. Der Fahrer parkte seinen Wagen und folgte ihnen die Gangway hinauf. Als Nächstes kamen ein Generator, sechs Eisenbahnschaffner und vier Ehefrauen mit Kindern. »Sie kommen«, sagte einer der Schaffner zu De Haan. Er nahm die Mütze ab und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirn. Es war bereits ein Uhr früh, als Schalakow eintraf, der neben dem gelockertem Schlips auch sonst gewisse Auflösungserscheinungen zeigte. Er fand De Haan auf der Brücke.
    »Wie ich sehe, sind Sie schon unter Dampf«, sagte er.
    »Wie's aussieht, laufen wir aus.«
    Schalakow sah sich um. Das Deck war voller umherwandernder Menschen, während die bärtigen Männer rauchend und schwatzend auf ihren Schrankkoffern saßen. »Hat Sie der Bote erreicht?«
    »Nein, nur das alles hier.«
    »Es ist ein Tollhaus. Wir hatten lettische Kolonnen in der Stadt und Wehrmachtskommandos.« Er holte tief Luft und lächelte grimmig. »Wird ein schlimmer Krieg werden«, sagte er. »Und lang. Na, jedenfalls ist das hier eine Liste der Schiffe in Ihrem Konvoi.« Ein getipptes Blatt, auf dem die Namen der Schiffe ins römische Alphabet transkribiert waren. »Halten Sie Funkverbindung, bei sechs Punkt fünf, und Sie brauchen keinen Code – heute Nacht jedenfalls nicht. Zielhafen ist der Marinestützpunkt in Tallinn, es hätte keinen Sinn mehr, Riga zu versuchen. Sie warten bitte auf die Sirene der Burja, des vorausfahrenden Zerstörers, und folgen ihr. Kann's losgehen?«
    »Ja.«
    »Ich bin auf dem Minenleger Tsiklon – Zyklon. Dann also viel Glück, und wir sehen uns in Tallinn.«
    01.30 Uhr. Scheldt am Ruder, Ausgucke am Bug und achtern sowie an den Nocken, Van Dyck mit den Löschtrupps in Bereitschaft, Kovacz und Poulsen im Maschinenraum, Ratter und Kees mit De Haan auf der Brücke. Die Bombenangriffe beschränkten sich in dieser Nacht auf Süd und Ost, während über Liepaja nur ein einziges Flugzeug am Himmel war, aus dem ganze Wolken an Flugblättern herunterkamen und von der Brise bis zum Hafen flatterten. Um 01.42 Uhr kam ein Paar den Kai entlanggelaufen, die Frau für einen Abend im Nachtclub in Schale geworfen. Sie brüllten zum Deck hinauf, flehten in mehreren Sprachen, bis De Haan die Gangway noch einmal herunterließ und sie an Bord nahm. Der Frau, die zum Laufen die Schuhe ausgezogen hatte, liefen die Tränen übers Gesicht, und als sie an Deck war, fiel sie auf die Knie. Eine der Tänzerinnen kam herüber und legte ihr einen Arm um die Schulter. Sie kämpften jetzt in der Stadt, den Gewehrsalven folgte Stille, und von der Brücke aus sahen sie die Leuchtspurgeschosse, die von der Spitze eines Leuchtturms sowie dem Turm einer Hafenkirche herunterströmten. Gute Geschützstände, dachte De Haan, wenn auch für einen anderen Zweck in die Höhe gebaut.
    Um 02.20 Uhr die Sirene.
    De Haan schob den Maschinenraumtelegrafen auf Langsam – Voraus, und ohne die Hilfe von Schleppern glitten sie sachte aus dem Hafen. Sie sahen die Burja eine halbe Meile voraus und fanden sich zwischen einem Schnellboot und einem Eisbrecher wieder. Am letzten Pier im Winterhafen stand eine Gruppe Menschen zwischen Taschen und Bündeln und Koffern, die versuchte, sich bei den vorbeifahrenden Schiffen durch Schreien und Winken bemerkbar zu machen.
    Hinter dem Zerstörer beschrieb die Noordendam gemächlich einen langen Bogen nach Norden, und das Ufer fiel allmählich hinter ihnen zurück. Um 02.45 Uhr waren sie bereits weit draußen auf offener See; eine steife Brise, eine Hand voll Sterne zwischen den Wolken, ein paar Schaumkronen auf dem Wasser. De Haan bat um Voll – Voraus, die Maschinenraumklingel schrillte, und er sagte: »Mr. Ratter?«
    »Ja, Herr Kaptän?«
    »Hissen Sie die niederländische Flagge, Mr. Ratter.«
    Zwanzig Schiffe waren ausgelaufen und reihten sich wie eine Kette im Kielwasser der Burja auf. Die Arbeiterklasse der Marineflotte – Versorgungsschiffe, Tanker und Minenleger und -räumer, Torpedoboote und Eisbrecher, ein paar zu Patrouillenbooten umfunktionierte alte Trawler,

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