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Die Stunde des Wolfs

Die Stunde des Wolfs

Titel: Die Stunde des Wolfs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alan Furst
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war, eine Explosion, dann fiel eine Fassade von einem Gebäude ab und kam krachend in einer gewaltigen Staubwolke herunter. Hatte doch nicht die Frau getroffen, oder doch?
    Die Schweine.
    23. Juni, 06.30 Uhr. Hafen von Liepaja.
    Rastlos lief De Haan bei seiner Backbordwache auf der Brücke hin und her. Zu weit im Norden, dachte er, jedes Herz besaß so etwas wie eine eigene Kompassnadel, und seine zeigte entschieden südlich von hier. Hier gab es keinen Sommer – ein kalter, frühmorgendlicher Himmel über der Stadt und dem Marschland dahinter, Schilf, das sich im Wind bog, schwarze Teiche, Kiefernwälder. Und irgendetwas Düsteres, das seine Schatten vorauswarf. Er fühlte es.
    Langsam erwachte die Noordendam wieder zum Leben. Kees, der auf einen Stock gestützt humpelte, beaufsichtigte Van Dyck und eine Gruppe Matrosen bei der Reparatur des Rumpfs am Heck – das Zuschneiden eines Blechs, das Anschweißen über dem Loch. Es sah schrecklich aus, aber es würde das Wasser draußen halten. Um 08.00 Uhr gab es Kaffee in der Messe, und als De Haan auf die Abwesenheit von Kolb zu sprechen kam, sagte Shtern, er sei während des Luftangriffs gegangen.
    »Wo zum Teufel will er denn hin?«, fragte Ratter.
    Das konnte Shtern nicht sagen.
    »Er hat seine Arbeit wieder aufgenommen«, sagte Kovacz.
    »Und was wird jetzt aus uns?«, wollte Mr. Ali wissen.
    »Zuerst sehen wir mal zu, dass wir hier rauskommen«, sagte De Haan. »Und dann reihen wir uns in die sowjetische Handelsflotte ein.«
    Das war in all den Jahren, die De Haan auf See verbracht hatte, wahrlich nicht das erste Schweigen, das sich über einen Messetisch legte, doch dieses hier lastete ziemlich schwer. Gewiss, sie hatten damit gerechnet. Jetzt aber war es ausgesprochen, und das machte es schlimmer. Weil sie alle gedacht hatten, dass irgendjemandem noch eine Idee kommen würde, weil doch immer irgendjemandem noch eine Idee kam. Aber diesmal nicht. Schließlich sagte Kees: »Vielleicht schicken sie uns nach England.«
    »Womit?«, fragte Kovacz.
    »Weizen, Vieh.«
    »Die haben doch nicht genug für ihre eigenen Leute«, sagte Maria Bromen. »Wieso sollten sie noch Großbritannien mit durchfüttern?«
    »Und wir würden nicht durchkommen«, fügte Ratter hinzu. »Wir können nach Estland im Norden, dann nach Kronstadt, dem Marinestützpunkt bei Leningrad, aber das war's auch schon. Die Deutschen werden jetzt die ganze Ostsee verminen – falls sie es nicht längst getan haben.«
    »Sie behaupten, sie hätten es getan«, sagte Mr. Ali. »In Klartext. Über Funk.«
    »Das soll die russischen U-Boote abschrecken«, sagte Poulsen.
    »Was mir Angst macht«, sagte Shtern, »sind Jahre. Jahre in Russland.«
    Cornelius kam ans Schott und sagte: »Herr Kaptän? Sie werden am Pier verlangt.«
    »Jetzt, Cornelius?«
    »Ja, Herr Kaptän. Ich glaube, Sie kommen besser. Russische Soldaten.«
    De Haan ging und nahm Kovacz als Übersetzer mit. Am Fuß der Gangway standen ein Schmierer und ein Vollmatrose mit verlegenen Gesichtern inmitten einer Schar sowjetischer Marineinfanteristen, die sie in Gewahrsam genommen hatten – die wegen ihrer Uniformmützen als ›schwarze Teufel‹ bekannten Soldaten trugen ansonsten gestreifte Jersey-Matrosenkluft unter den ihrem jeweiligen Dienstgrad entsprechenden Uniformjacken.
    Als De Haan und Kovacz die Gangway herunterkamen, trat der Sergeant vor. Er sprach nur kurz, und Kovacz übersetzte, »›Hier sind Ihre Matrosen. Waren letzte Nacht nach dem Luftangriff draußen.‹«
    »Danke ihnen«, sagte De Haan zu Kovacz. »Wir sind ihnen dankbar.«
    Kovacz gab die Antwort weiter: »Wir bitten darum, sie künftig dazubehalten, wo sie hingehören.«
    »Sag ihnen, das werden wir. Und wir meinen es ernst.«
    »Einer fehlt«, sagte Kovacz.
    »Es ist Xanos, Herr Kaptän«, erklärte der Matrose.
    »Was ist passiert?«
    »Einer Presspatrouille in die Hände gefallen. Wir haben uns nach einer Bar umgesehen, und er ist weggegangen, und sie haben uns gesagt, dass ihn Matrosen von einem der Schiffe im Hafen gepackt haben.«
    »Stas, frag sie, ob sie unseren Matrosen finden können.«
    Kovacz versuchte es. »Sie sagen, das können sie nicht. Sie können nicht alle Schiffe durchsuchen. Sie bedauern.«
    Die Marineinfanteristen gingen, und De Haan schickte seine beiden Männer ins Mannschaftsquartier zurück. »Wenn Sie das Schiff noch einmal verlassen«, sagte er ihnen, »brauchen Sie nicht wiederzukommen.«
    20.40 Uhr. Hafen von Liepaja.
    De Haan und Maria

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