Die Suche nach dem verborgenen Glück
diesen Gedanken umgehen wollte. Er würde hier bleiben und so lange von dem Mann lernen, bis der ihm nichts mehr beibringen könnte. Er würde lernen, wie er sein Leben führen, wie er denken, handeln und Beistand leisten sollte - wie er all das bewältigen konnte, was ihn dem Mann ähnlicher machte. Er würde von der Natur lernen - und dadurch, dass er den Mann beim Gehen beobachtete und seinen Erklärungen lauschte. Er würde in derselben Weise lernen, wie schon sein Vater gelernt hatte. Er würde im Wind die Stimmen seiner Ahnen vernehmen, von der Sonne, den Flüssen, den Jahreszeiten und sämtlichen Lebewesen lernen. Und irgendwann würde er schließlich lernen, glücklich zu sein.
Der Mann verlangsamte sein Tempo und blieb nach ein paar Schritten stehen. Er beugte sich herab zum Boden und hob eine Eichel auf. David sah, wie er sie in seiner Hand hin und her drehte. Sein Ausdruck zeugte von großer Ehrfurcht. Aber warum? Auf dem Boden lagen tausende von Eicheln. Weshalb hatte er gerade diese herausgegriffen?
Der Mann reichte ihm die Eichel.
»Was ist das?«, fragte er David.
Der junge Indianer betrachtete sie in seiner Hand. Ihm war klar: Der Mann wusste, dass es sich um eine Eichel handelte. Aber ihm war auch klar, dass der Mann nicht nur diese Bezeichnung als Antwort erwartete. Er wollte noch etwas anderes hören.
»Ich weiß nicht.«
Der Mann lächelte. »Es ist eine Eichel, die Frucht der Eiche, durch die sie sich zu einem kräftigen Baum entwickelt.«
David schaute auf seine Hand. »Ich weiß, was das ist, aber ich weiß nicht, was die Eichel bedeutet oder warum du danach fragst. Ich kenne dich inzwischen und weiß, dass du oft eine Antwort wünschst, die ich dir nicht geben kann. Ich weiß, dass ich heute hierher gekommen bin, um von - und nicht über - Mutter Erde etwas zu lernen.«
David war einen Moment lang schwindlig. Die Worte, die er ausgesprochen hatte, waren nicht seine eigenen; seine Schwester musste sie ihm eingegeben haben.
Der Mann lächelte. »Du hast Recht. Du wirst von Mutter Erde - nicht über sie - etwas lernen. Heute erfährst du das Geheimnis des Glücks. Mutter Erde hat es dir schon unzählige Male offenbart, aber jetzt wirst du ihr zuhören. Sie wird dir zeigen, wie du jeden Morgen mit einem Lächeln aufwachst und über die Probleme lachst, mit denen du konfrontiert bist. Du wirst wie dein Vater werden und bald deinem Sohn die Dinge beibringen, die du gelernt hast.«
David fixierte wieder die Eichel. Er hätte nie gedacht, dass er diese Dinge von ihr lernen könnte, und zweifelte daran, dass sein Vater von ihr gelernt hatte, was er über die Natur wusste.
Der Mann beugte sich vor und nahm die Eichel aus Davids Hand. »Also«, sagte er, »was kannst du von der Eichel lernen?«
»Das größte Geheimnis der Welt?«
»Ja«, erwiderte der Mann lächelnd, als er sie ihm vor die Augen hielt. »Diese Eichel ist der Same der Eiche. Jetzt ist sie klein und zerbrechlich - sogar ein Eichhörnchen kann sie zerbrechen. Doch wenn sie unversehrt bleibt, wird sie bald zu etwas Starkem und Mächtigem heranwachsen. Die Eichel ist die künftige Eiche - sie markiert das erste Stadium im langen Wachstumsprozess des Baumes.«
»Aber was hat sie mit meinem Leben und meinem Glück zu tun?«
»Hol die Rolle aus deiner Tasche und wirf einen Blick auf das vierte Bild.«
David tat es. Er sah einen Mann, der unter einer Eiche saß. Neben ihm befand sich ein Haufen Eicheln; der Mann schien zu meditieren.
»Der Baum auf dem Bild stellt das Geheimnis des Glücks dar und der Mann zeigt dir, wie du dieses Geheimnis nutzt, um glücklich zu werden.«
David sah sich das Bild genauer an. Er wusste nicht, wie er derlei durch bloße Betrachtung herausfinden sollte. Der Mann fuhr fort:
»Um die Bedeutung des Bildes zu verstehen, musst du von der Natur lernen. Schau dich um. Betrachte den Himmel, die Wildnis und die Geschöpfe von Mutter Erde. Denk darüber nach, was du siehst, und beantworte diese Fragen für dich selbst. Erkennst du das Geheimnis ringsum? Staunst du über die Welt und das Leben, das Wakantanka erschaffen hat? Und vor allem: Meinst du vielleicht, Wakantanka habe eine chaotische Welt kreiert?«
David schaute sich um. Er sah eine geheimnisvolle, wohl gestaltete Welt. Der Himmel ernährte die Erde mit Regen, die Winde sorgten für die Erde, indem sie die Samen umherwehten, und die Tiere nutzten die Erde, um zu fressen und Unterschlupf zu finden. Hier war kein Zufall im Spiel. Der Welt lag
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