Die Suche nach dem Wind
1. Kapitel
Erma Kossolowy ging mit schnellen Schritten durch Rhandana. Wolken versteckten Monde und Sterne. Der Lichtkegel, der vor ihr schwebenden »Nachtlaterne«, beschien nur noch ein kleines Feld. Auf Rhanmarú war Schlafenszeit, und die Schläfer sollten nicht durch Helligkeit gestört werden.
Sie konnte nicht einmal mehr die Bäume sehen, die die Straßen begrenzten. Die Rhan liebten seit einiger Zeit Knospen und frische Blüten. Also blühte es in den inneren Kreisen ohne Unterlass. Da Illusionen keinen Duft versprühen konnten, die Bürger die belebende »Frische« jedoch auch riechen wollten, waren Heerscharen im Universum unterwegs, um für Nachschub zu sorgen. Kaum ein Rhan wusste, welche Gewächse gerade die Straßen säumten. Ob aus den Blüten Früchte werden würden, interessierte niemanden, dem auf bunten Märkten die Ernte unzähliger Planeten präsentiert wurde.
Eine monotone Stimme ertönte. »Sie verlassen in Kürze den Ersten Kreis und betreten das Zentrum. Bitte weisen Sie Ihre Berechtigung nach.«
Erma griff in den Ausschnitt ihrer dunkelroten Uniform, zog ein Glasplättchen, das an ihrer Kette baumelte, hervor und hielt es seitlich hoch. Ein gelber Strahl fuhr durch das Plättchen, und die Stimme erklang erneut. »Berechtigung nachgewiesen. Willkommen, Botin Kossolowy! Wir wünschen Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«
»Angenehm? Wohl kaum! Wichtig ist auch nur das Ergebnis«, murmelte sie vor sich hin. Sie war froh, dass die Straßen verwaist waren. Sie hasste das Zentrum, in dem die reichsten und mächtigsten Rhan lebten und sich gegenseitig mit ihren gewaltigen Palästen zu übertrumpfen versuchten. Glasgiganten ragten neben Metallburgen in den Himmel, Stelzenhäuser thronten über künstlichen Seen. Der neuste Trend waren schwebende Häuser, die nebst Gärten wie Halbkugeln über der Stadt hingen.
Im Achtzehnten Kreis, ihrem Geburtsort, baute und richtete man Häuser ein aus dem, was die Bewohner des Zentrums entsorgten, um es durch Neues zu ersetzen. Der extra dafür angelegte Müllplatz war sogar als Geschenk gefeiert worden für die Minderbegabten, Ehrgeizlosen oder Arbeitsscheuen, die in den äußeren Kreisen ihr unbeachtetes Dasein fristeten. Zuvor wurde der Schrott einfach ins All geschickt.
Bei der feierlichen Einweihung des »Freibasars« war sie zur Besinnung gekommen. Um sie herum war frenetisch geklatscht worden und vor ihr hatten die Ratsherren darauf geachtet, dass die Boten die begeisterte Menge auf Abstand hielt. Sie hatte sich plötzlich geschämt für ihre Familie und Nachbarn, die den Abfall der Reichen bejubelten und nicht einmal bemerkten, dass ihre Gönner ihnen aus Angst vor Ansteckung nicht zu nahe kommen wollten. Da hatte sie beschlossen, auszubrechen und Karriere zu machen. Misserfolge bei der Arbeitssuche und Ablehnungen von Schulen hatten sie nur kurz verunsichert und sie dann um so disziplinierter üben lassen. Ihre Stelle als Küchenhilfe in einer Magieschule hatte ihr endlich den Durchbruch beschert. Fleiß und harte Arbeit wurden damit belohnt, dass sie in ihrer Freizeit am Unterricht teilnehmen durfte. Gutes Gespür und hervorragende Beherrschung der Elementzauber hatten ihr eine Empfehlung zu den Sektionsboten verschafft und endlich eine Beförderung zur Botin.
Sie besaß nunmehr eine kleine Wohnung in den endlosen Ringbauten des Dritten Kreises und genoss es, zu den angeseheneren Bürgern Rhandanas zu gehören. Sie wusste, dass sie in dem Ruf stand, von Ehrgeiz getrieben über Leichen zu gehen bei der Erledigung ihrer Aufgaben, und störte sich nicht daran. Sie hatte keine Freunde, aber sie hatte etwas erreicht. Und dass sie jetzt der Rhanlord zu sich befohlen hatte, wertete sie als gutes Zeichen.
Sie war so in Gedanken versunken, dass sie einen Satz zur Seite machen musste, um nicht mit einem Herrn im blauen Umhang zusammenzustoßen.
»Verzeiht!«, bat sie sofort und verbeugte sich.
Sie erhielt keine Antwort, hatte die allerdings von einem Ringlord auch nicht erwartet. Sie gehörte zu den angeseheneren Bürgern Rhandanas: überall nur hier im Zentrum nicht. Hier gehörte sie nach wie vor zum untergeordneten Personal. Sie bestieg das Gleitband, um auf den einzigen Hügel der Umgebung zu gelangen, von dem aus der Kristallpalast des Rhanlords die Stadt überragte. Wände, Kuppeldächer und unzählige Türmchen schimmerten wie aus abertausend Diamanten in allen Regenbogenfarben. Es war ein imposanter Anblick. Erneut fingerte sie ihr
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