Die Suche nach dem Wind
Glasplättchen hervor, und die Kristallwand vor ihr teilte sich.
Tagsüber wimmelte es hier vor Rhan, jetzt hörte sie das Plätschern kleiner Bäche und sah die Bilder der Rhanlords an den Wänden. Die Gesichter änderten sich nach kurzer Zeit. Sie würde sich erkundigen, wie lange man verweilen musste, um alle einmal gesehen zu haben.
Auch die Vorhalle zum Büro des mächtigsten Mannes Rhanmarús war verwaist. Dass Besucher die Sitzgruppen bevölkerten, hatte sie zu dieser späten Stunde nicht erwartet, aber zumindest einen Sekretär, der sie anmelden würde. Dem über ihr schwebenden Hologramm des Universums mit all den kreisenden Planeten schenkte sich keine Beachtung, denn ihr wurde schlagartig klar, dass der Rhanlord sie mit einer besonderen Mission beauftragen wollte.
Ihr Herz schlug unwillkürlich schneller. Konnte das der nächste Schritt auf ihrer Karriereleiter sein? Sie hatte den Rhanlord bisher nur bei offiziellen Anlässen gesehen, bei denen Boten das Schutzpersonal stellten. Hager, dünnhaarig, mit kleinen Augen über einer gewaltigen Spitznase und einem spitzen Kinn, hatte er sie vom Aussehen her an die Kanalnager erinnert, die sich im Achtzehnten Kreis durch Abfälle wühlten. Seine Regierungsarbeit allerdings schien von Erfolg gekrönt zu sein, und er genoss hohes Ansehen bei den meisten Rhan.
Sie ging zur Wand am Ende des Raums. Die teilte sich vor ihr, und sie blieb stehen und sah um sich herum, wähnte sich plötzlich im Wald. Blätter rauschten, Vögel sangen ... dann war es verschwunden. Ein Raum mit schillernden Kristallwänden tat sich vor ihr auf. Hinter einem gewaltigen Schreibtisch aus schwarzem Stein, über dem eine Kugel schwebte, saß der Rhanlord.
Sie verbeugte sich tief.
»Ganz pünktlich. Erma Kossolowy, nicht wahr? Ich habe gerade ein paar Nachrichten abgerufen. Diese Untermalung mit Bildern und Geräuschen empfinde ich als ziemlich aufdringlich. Oft erschrecke ich mich sogar. Ich will doch nicht jeden Krieg, von dem mir berichtet wird, mit eigenen Augen sehen. Sollte ich diese Art der Korrespondenz verbieten?«
Sie setzte sich auf seine einladende Geste hin steif auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch. »Ich mag auch nicht gern Leichen sehen, während ich noch mein Frühstück zu mir nehme. Wenn es Euch stört, solltet Ihr ein Verbot in Erwägung ziehen. Wenn es jemand durchsetzen kann, dann Ihr.«
Er lachte krächzend. »Die Antwort gefällt mir. Hamus Keyl hat mir davon berichtet, welch hervorragende Arbeit Sie im Fall des Ratsmitglieds Talimus geleistet haben. Sie wissen, dass er alle öffentlichen Ämter niedergelegt hat?«
Dieser Anfang war vielversprechend. Sie jubelte innerlich und nickte mit einem Lächeln. »Seine Frau hat sich ebenfalls von ihm getrennt und ihr Vermögen mitgenommen, hörte ich.«
»Das hat sie«, bestätigte er. »Die Liebesbeziehung, die Sie ans Licht brachten, konnte sie nicht ignorieren. Was Hamus so begeisterte, war Ihre Art, die Dinge anzugehen. Sie haben Fallen ausgelegt und hier und da Gerüchte gestreut. Alles war wohl durchdacht. Viele Boten schrecken leider davor zurück, sich mit einflussreichen Persönlichkeiten anzulegen, weil mächtige Leute auch mächtige Freunde haben, die schnell zu gefährlichen Feinden werden können. Diese Skrupel besitzen Sie offensichtlich nicht.«
Es ging also wieder um ein Mitglied der oberen Gesellschaftsklasse, das sie zu Fall bringen sollte, ging ihr durch den Kopf. Trocken erwiderte sie: »Nein! Ich erledige meine Arbeit, wie ich es bei meiner Ernennung geschworen habe. Namen und Ränge interessieren mich nicht.«
Der Rhanlord massierte sein spitzes Kinn, das neuerdings ein weißes Ziegenbärtchen zierte. »Das ist sehr gut. Ihnen sagt der Name van Rhyn sicher etwas.«
Jetzt musste sie doch schlucken. Das war nicht die obere Gesellschaftsklasse, das war die oberste. So nüchtern wie möglich fasste sie ihr Wissen zusammen: »Urkundlich erwähnt eine der ältesten Familien Rhanmarús. Nores van Rhyn war Feldherr im großen Krieg gegen die Marú, Cornelius Aeneas van Rhyn der erste Rhanlord. Die Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Ob Rhanlord, Mitglied des Obersten Rates, des Tribunals oder Ringlord, der Name van Rhyn ist in der Geschichtsschreibung durchgängig vertreten. Wichtigste Familienmitglieder heute: Milvana van Rhyn, Ehrwürdige Mutter Oberin. Ihr Gatte, Aeneas Nores van Rhyn, Forscher und Gelehrter, zurzeit auf dem Eisplaneten. Beider Enkelsohn Aeneas Cornelius van Rhyn, Hochlord,
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