Die Süße Des Lebens

meine Mutter. In Wahrheit ist er drüben im Büro. Sie gehen alle nach hinten zu Daniels Zimmer. Meine Mutter kommt zurück, setzt sich hin und zündet sich eine Zigarette an. Ich hasse es, aber das ist ihr egal. Daniel ist ihr auch egal. Luke Skywalker und seine Schwester Lea bekommen Adoptiveltern, als ihre Mutter stirbt. Meine Mutter hat keine Ahnung von Luke Skywalker.
    Durch die Wand hört man sie reden, ganz ruhig. Die Verhöre, die ruhig beginnen, sind die gefährlichsten, sagt Daniel. Am Ende machen sie dich fertig. Ich kontrolliere meinen Rucksack: die Maske, der Fausthammer, das neue Stanleymesser, das große aus dem Dreierset, die Schulsachen, der Umhang. Ich greife unter die Matratze und ziehe das Ding hervor, mit dem mir Daniel zeigt, wie es drinnen ist. Es ist vorne aus Silber und hinten schwarz. Ein wenig sieht es aus wie Yodas Lichtschwert. Niemand soll es finden. Ich stopfe es zu den anderen Sachen.
    Die Jacke, die Stiefel, die Haube. Wenn ich den Fäustling über meine rechte Hand ziehe, tut sie weh, obwohl ich unter dem Verband vier verschiedene Salben auf das Loch geschmiert habe. Hätte mich ein Pitbull gebissen und nicht ein kurzbeiniger Collie-Mischling, wäre die Hand jetzt weg, sagt Daniel. Es war ein Fingerzeig der dunklen Seite der Macht, sagt er, und wenn ich als Nächstes einen Pitbull erledige, wird er mich zu seinem Stellvertreter machen. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, bis ich einen Pitbull schaffen werde, aber Daniel sagt, ich habe Zeit und ich soll ihn zuerst einmal studieren. Konrad Seihs, das Faschistenarschloch, hat einen Pitbull, sagt Daniel, er wohnt Linzer Straße, zweite Quergasse links, viertes Haus. Das ist eine Aufgabe für später, sagt er.
    Mutter hört uns nie, wenn wir weggehen. Sie liegt entweder noch im Bett oder sie sitzt irgendwo und raucht. Daniel sagt, sie ist eine nichtsnutzige Schlampe. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Manchmal glaube ich, meine Mutter denkt nicht viel. Auf diese Weise ist es nicht so tragisch, dass wir ihr egal sind. Momentan hat sie KV rund um den Hals. Wie das passiert ist, weiß ich nicht. Daniel sagt, es ist eine Bagatelle. Anakin Skywalkers Mutter stirbt in Episode II. Er kommt auch ohne sie zurecht. Einen Vater besitzt Anakin nicht. Er ist ihm nie abgegangen. Er ist trotzdem zu Darth Vader geworden.
    Der glatzköpfige Buschauffeur, der im Winter eine Wollmütze trägt, die exakt auf seinen Hinterkopf passt – wie ein Deckel. Er ist in Ordnung. Ab und zu gibt es Menschen, von denen hat man das Gefühl, sie erfüllen ihre Aufgabe und können gar nicht unfreundlich sein, so in der Art wie R2-D2. Irgendwann einmal brennen sie einfach durch, dann ist es zu spät. Das ist der Nachteil.
    Das Schweinchen sitzt in der Reihe gleich hinter dem Fahrer, neben ihm Markus. Markus ist kein Problem, der spricht nie etwas. Das Schweinchen redet ununterbrochen, Hausaufgabe und Millionenshow und Need for Speed Underground, das Übliche halt. Ich sage ihm, ich bin spät aufgestanden, und schaue weg. Das ändert auch nichts. Er hat eine schlechte Ausstrahlung.
    Im Durchgang zum ersten Hof zweigt rechts ein kurzer Korridor ab, eigentlich der Hintereingang der Stiftsapotheke. Er hat nach wenigen Metern eine Nische, in der drei blaue Mülltonnen stehen. Ich hocke mich dahinter hinein und warte. Ich denke daran, dass man sich auf Hoth überall Schneehöhlen graben kann. Dort findet dich niemand, kein Wampa, kein Jedi, nicht einmal Yoda. Die Kirchenuhr schlägt viermal hell und achtmal dunkel. Ich zähle mittelschnell bis hundert, dann breche ich auf. Ich habe einen Auftrag.
    Leo fährt immer mit dem Rad. Er wohnt in der Nähe, und die Reifen seines BMX sind so breit, dass das auch bei Schnee funktioniert. Die Nummer an seinem Kettenschloss ist 1407, sein Geburtsdatum. Es ist blöd, aber jeder macht es so. Ich öffne den Schnellverschluss und stelle den Sattel ein wenig tiefer, bevor ich aufsitze.
    Daniel hat mir erst eine geknallt und noch eine und gesagt, ich soll mich gefälligst an meine Aufträge halten. Dann hat er mein Gesicht auf den Zeitungsartikel gedrückt und ich habe gesagt, ich war das nicht. Er hat gesagt, wenn ich lüge, fickt er mich in den Arsch, genau wie sie es drinnen tun, und dann hat er gesagt, eine fremde Macht ist im Spiel und ich soll mich darum kümmern.
    Dass der Weg an der Straße hinter der ockergelben Halle des Holzwerkes beginnt, weiß ich noch von damals, als wir alle dort waren, die ganze Klasse. Irgendwann in der Volksschule