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Die Tänzer von Arun

Titel: Die Tänzer von Arun Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth A. Lynn
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waren die gleichen geblieben, außer daß man sie neu verglast hatte. Sie waren noch immer nur nach Norden gerichtet.
    Die graue Masse der Berge beherrschte die Landschaft. Auf den unteren Terrassen unter den Gipfeln kümmerte Grün vor sich hin. Kerris hatte gehört (von den Kaufleuten, die überall hinkamen), daß es im Westen noch höhere Berge gebe und daß sie rot seien, nicht grau. Er bezweifelte, daß er sie je zu Gesicht bekommen würde. Die weiteste Strecke, die er jemals über die Steppe gereist war, war die Hälfte des Weges bis nach Cloud Keep gewesen.
    Er war im Süden geboren, in einem kleinen Dorf am Südrand des Galbareth. Paula hatte ihm dies oft genug erzählt. Aber er hatte keine Erinnerung mehr an den Süden, auch nicht an den Ritt in den Norden und auch nicht an den Überfall auf die Karawane, bei dem seine Mutter umgebracht worden war. Während dieses Überfalls hatte ihm der Hieb eines Asech-Krummschwertes den rechten Arm abgetrennt, knapp unter dem Schultergelenk.
    Josens Stimme brach in seine Träumerei ein. »Der Sommer ist nahe.«
    Kerris zog seine Gedanken aus der Vergangenheit, die ihm verloren war, zurück. »Paula ist da anderer Ansicht«, sagte er.
    »Ach, die ist aus dem Süden«, sagte Josen. »Denen ist es hier oben niemals heiß genug.« Josen selbst war ein Nordländer, kannte aber den Süden sehr gut, weil er dort viele Jahre lang gelebt hatte. Er streifte Kerris mit einem Blick. Der Alte war hochgewachsen, hatte aber gekrümmte Schultern. Die farblosen Augen lagen tief und sehr scharfsichtig im Gesicht. Er trug die Kleidung seines Clans: ein schwarzes Gewand aus weicher Wolle mit einer Kapuze, die über den Rücken hing. Am vierten Finger der linken Hand trug er einen Goldreif mit Elfenbeineinlage. Nur die Gelehrten und die Herren von großen Häusern trugen Ringe: die Lords, um ihre Herrschaft zu unterstreichen, die Schriftgelehrten zum Zeichen, daß sie keine Waffen trugen. Josen war Mitglied der Schreibergilde. Morvens Vater, Athor, hatte ihn zum Studium nach Kendra-im-Delta geschickt, und er war vor fünfundzwanzig Jahren auf die Burg zurückgekehrt. »Die Händler sind noch nicht gekommen, nehme ich an.«
    »Nein.«
    Josen sagte etwas in der Sprache der Südländer.
    »Wie war das?« fragte Kerris. Seit fünf Jahren war er Josens Schüler, doch verstand er nur ganz wenig von der alten südlichen Zunge.
    »Fünf Jahre lang sollen sie am Blutfluß leiden«, übersetzte der alte Mann. »Ich brauche Tinte!«
    Kerris grinste. Er und Josen teilten sich den Schlaf- und Arbeitsraum hier oben im Turm, und soweit es der Altersunterschied und die Verschiedenheit ihrer Temperamente erlaubte (Josen und Paula waren ungefähr gleich alt), waren sie auch Freunde. »Sollen sie an Hämorrhoiden leiden, nachdem sie hier eingetroffen sind«, schlug er vor.
    »Richtig«, stimmte Josen zu. »Das wäre besser.«
    Er hustete und zog den weiten Gürtel enger um die Hüften. Dann sagte er: »Ich habe dich in der letzten Nacht überhaupt nicht hereinkommen hören.«
    Kerris' Armstumpf pochte. »Ich habe in den Mannschaftsunterkünften geschlafen«, sagte er.
    »Für den Fall, daß die Räuber kommen, was?« sagte Josen, die Stimme von leichtem Spott gefärbt. »Aber selbst wenn dies eintreten sollte, Morven würde dich nicht kämpfen lassen. Man würde dich in die Vorratskammern schicken, damit du dich dort mit den Alten, den Kranken und den Kindern in Sicherheit bringst. Wozu also die Mühe?«
    »Ich muß einfach«, sagte Kerris. »Und es ist mir gleich, was Morven denkt.« Er trat an den Arbeitstisch aus Eichenholz. Josen hatte bereits die Tagesarbeit für sie herausgelegt: einen Stapel uralter Schriftrollen für sich selbst, und die monatliche Abrechnung für Kerris. Die Schriftrollen rochen moderig. Er schob den Stuhl zurück. »Machen wir uns ans Werk?«
    Josen zuckte die Achseln. »Wie du willst«, sagte er. Er ging durch den kleinen achteckigen Raum. Kerris verspürte ein Zucken des Bedauerns – er hatte den Alten nicht so brüsk zurückweisen wollen. Er zog den kissenbelegten Stuhl für Josen zurück. Früher, ehe er Kerris als Helfer bekommen hatte, hatte Josen auch die alltägliche Arbeit getan, hatte die Rechnungsbücher geführt und die Aufzeichnungen auf dem laufenden gehalten. Doch diese Arbeit erledigte nun Kerris, und da er nun von diesen Aufgaben befreit war, hatte sich der alte Schriftgelehrte eine andere Aufgabe gewählt, die ihn mehr interessierte und ausfüllte: auf das

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