Die Tage des Regenbogens (German Edition)
Innenminister.
Endlich trat Pinochet vor die Presse. In Zivil gekleidet, rosig geschminkt, verkündete er vor chilenischen Kameras und der internationalen Presse: »Die Juden hielten auch eines Tages eine Volksabstimmung ab. Sie mussten wählen zwischen Jesus Christus und Barrabas. Und sie haben Barrabas gewählt.«
Dann zog er sich mit einem Lächeln zurück: »No more questions.«
Bei Bettini zu Hause gab es erst Rotwein und Weißwein, dann eine Flasche Champagner und nach der Flasche Champagner Telefonanrufe und Schichtwechsel bei der Besatzung des grauen Wagens, der seit dem Tag, als er dort abgestellt worden war, nicht mehr weggefahren war.
Seine stille, massive Anwesenheit beherrschte die Straße. Zeitweise war er leer. Dann wieder stiegen zwei Männer ein, manchmal dieselben wie am ersten Tag, manchmal andere, sie stellten das Radio an, hörten Rockmusik, dann wieder karibische Cumbia, und einmal drehten sie sogar Mozart laut auf: die Kleine Nachtmusik .
Das Auto bewegte sich nicht von der Stelle. Das Auto blieb. Ohne Nummernschild.
Die beiden Männer kamen mit Papiertüten vom Markt in Irarrázabel, schälten Orangen und warfen die Schalen auf die Straße.
Einer von ihnen rauchte, der andere nicht.
Wenn sie Nachtschicht hatten, rauchte keiner von beiden.
Jeden Morgen kam jemand mit dem Motorrad und brachte ihnen eine Thermoskanne Milchkaffee und belegte Brote.
Um fünf Uhr morgens brachte Patricia Bettini die Tickermeldungen der ausländischen Presse. Sie hatte sie vom italienischen Konsul, der ebenfalls kam, die Zähne noch voller Zahnpasta, die Haar noch feucht von der Morgendusche, unterm Arm Parmesankäse und Parmaschinken.
Patricia hatte die »Ehre«, die Tickermeldung von Le Monde vorzulesen. Das Mädchen erfasste mit wenigen Blicken den Text und übersetzte ihn ins Spanische.
Die Familienmitglieder und Freunde lagen verstreut wie erschöpfte Krieger auf dem Teppich und in den Sesseln.
» Le Monde: ›Es gibt wenige Fakten, anhand derer man beurteilen könnte, was geschehen ist und wie es mit Chile nun weitergehen wird. Das autoritärste, repressivste Regime in der Geschichte des Landes ist in sich zusammengefallen und ist gekennzeichnet von Unentschlossenheit, Handlungsunfähigkeit und Schock.‹«
Patrica sah zu ihrem Vater, und während sie sich ihr braunes Haar aus dem Gesicht strich, sagte sie feierlich: »Papa, ich will, dass du jetzt aufstehst.«
Adrián klatschte in die Hände, er hielt die Aufforderung seiner Tochter für einen Scherz. Aber Patricia meinte es ernst. Er hatte sie noch nie so feierlich gesehen. So würdig. Als wäre sie in wenigen Stunden erwachsen geworden. Als hätten die durchwachten Nächte, der Wein, die Übermüdung, die Aufregung sie mit ihren gerade einmal achtzehn Jahren zur Frau werden lassen.
»Papa, das schreibt El País , aus Spanien: ›Fünfzehn Minuten genügten, um fünfzehn Jahre zu beenden.‹«
Bettini rechnete nach, in den letzten Wochen hatte es keinen Abend gegeben, an dem er nicht seinen eigenen Herzinfarkt vorausgesehen hatte. Nicht jetzt, please , befahl er seinem fucking Herz. Er nahm sich zusammen und sagte, ohne zu lächeln, zu seinem Publikum: » El País aus Spanien! Nicht zu fassen.«
NEUNUNDDREISSIG
» S eñor Fernández. Herr Minister, was für eine Ehre!«
»Exminister, Bettini. Ich habe soeben meinen Rücktritt erklärt und räume gerade meinen Schreibtisch auf, um nach Hause zu gehen.«
»So spielt das Leben, Dr. Fernández.«
»Glauben Sie nur nicht, das ist das Ende der Geschichte. Sie haben es geschafft, dass sechzehn Katzen und Hunde kurz mal gemeinsam einen Kandidaten unterstützen. Einen Minister Nein . Aber wenn sie sich jetzt zusammenraufen sollen, um sich auf einen Präsidentschaftskandidaten zu einigen, werden sie sich gegenseitig die Augen auskratzen.«
»In dieser Kampagne haben wir gelernt, uns zusammenzutun …«
»Zusammentun? Sie werden doch nur von Klebefilm und Spucke zusammengehalten, Bettini. Der wahre Gewinner dieser Volksbefragung ist Pinochet, denn die über vierzig Prozent der Stimmen, die er bekommen hat, gelten allein ihm. Ihre fünfzig und noch was Prozent hingegen muss man aufteilen zwischen sechzehn Parteien. Mit über vierzig Prozent hat der General alle Freiheit, er kann tun, was er will.«
»Plant er einen Putsch wie 1973 gegen Allende?«
»Und wenn schon?«
»Das glaube ich nicht, Herr Minister …«
»Exminister!«
»Das glaube ich nicht, Herr Exminister. Dieses Mal kann er weder
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