Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Affinity Bridge

Affinity Bridge

Titel: Affinity Bridge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Mann
Vom Netzwerk:
Prolog
    Indien, Juni 1901
    Die Fliegen. Immer diese verdammten Fliegen.
    Coulthard schlug nach den Insekten, die ihm unablässig um den Kopf
summten, und überprüfte wohl zum fünften Mal in dieser Stunde das Gewehr. Die
Hitze war noch drückender als sonst, und die Haare in seinem Nacken klebten vor
Schweiß. Die Uniform war zu knapp geschnitten und kniff ihn. Den anderen beiden
erging es nicht viel besser. Hargreaves hockte in der Nähe auf einem Stein und
trank ausgiebig aus seiner Wasserflasche, Taylor marschierte unruhig hin und
her und versetzte der Erde missmutige Tritte. Nur noch zwei Tage bis zu ihrer
Rückreise nach England, doch der Leutnant nahm sie immer noch hart ran und
schickte sie in brütender Mittagshitze auf Patrouille. Coulthard fluchte
halblaut. Der Mann war ein aufgeblasener Affe.
    Auf dem Felsvorsprung, wo sie rasteten, konnte Coulthard gerade noch
das Dorf erkennen, von dem aus sie sich bis hierher einen Weg gebahnt hatten.
Es war eine kleine Ansammlung von Gehöften und baufälligen Gebäuden, die schief
aneinanderlehnten wie eine Schar ängstlicher Geschwister. Weiter hinten
begrenzten Baumreihen die Siedlung, zu seiner Linken wanderten die Bauern, die
sich um die Ernte kümmerten, als kleine Punkte über die sattgrünen Felder. Es
schien irgendetwas in der Luft zu liegen, als wartete die ganze Gegend darauf,
dass etwas geschehen würde.
    Gähnend drehte er sich zu seinen Kameraden um und lehnte das Gewehr
an einen Stein. »Na, was werdet ihr denn als Erstes unternehmen, sobald wir
wieder in London sind?« Über dieses Thema hatten sie sich in den letzten Wochen
gewiss schon hundertmal unterhalten, und er wusste längst, was Hargreaves
antworten würde. Trotzdem, diese Gespräche erinnerten sie an die Heimat, und
das war Coulthard ganz recht.
    Hargreaves ließ die Wasserflasche sinken und erwiderte das Lächeln
seines Kameraden. »Sobald ich aus dem Luftschiff steige, werde ich zum Fox and Hound flitzen und mir ein Pint genehmigen. Wie ich
die armen Tölpel vermisse, die sich dort an der Theke drängen, mal ganz zu schweigen
von einem guten Glas Ale.« Er kicherte, als die Erinnerungen erwachten. »Wie es
dann weitergeht, weiß ich noch nicht. Vielleicht fahre ich mit dem Zug nach
Berkshire und bleibe eine Weile auf dem Hof meiner Eltern.« Er blickte zu
Taylor, dessen Tritte immer noch Staubwolken aufwallen ließen, während er gedankenverloren
ins Leere starrte. Hargreaves wischte sich mit dem Ärmel die Stirn trocken und
beugte sich verschwörerisch vor. »Was den angeht, bin ich mir nicht so sicher.«
Er deutete mit der Wasserflasche auf den Mann. »Er ist nicht gerade in guter
Verfassung. Steht immer noch völlig neben sich, obwohl er hier draußen doch
wahrlich genug erlebt hat.« Er senkte die Stimme noch weiter. »Vielleicht kommt
er sogar in die Irrenanstalt, wenn wir zurückgekehrt sind. Der arme Teufel.«
    Coulthard antwortete nicht auf diese Bemerkung. Keiner von ihnen war
auf das vorbereitet gewesen, was sie hier erwartet hatte. Trotz der dünnen
Lackschicht, die das Empire nachäffen sollte, war Indien eine ganz andere Welt
als England. Er konnte es kaum erwarten, nach Hause zurückzukehren und der
Hitze, dem Lärm und den allgegenwärtigen Fliegen zu entrinnen. Einen Moment
lang beobachtete er Taylor, der wie ein wildes Tier im Käfig hin und her
schritt. Hargreaves hatte recht. Indien hatte den Mann gebrochen. Ob man jetzt
noch etwas für ihn tun konnte, war höchst zweifelhaft, aber ein Heim? Schon der
bloße Gedanke daran ließ ihn schaudern. Damals in Wandsworth hatte er einmal
eine Anstalt besucht. Manchmal hörte er noch das Kreischen der Insassen im
Kopf, wenn er in den langen Nächten schlaflos dalag und an die abscheulichen
Dinge denken musste, die er gesehen hatte. Falls Taylor in ein Heim kam, welche
Aussichten hatten dann seine Kameraden?
    Coulthard nahm sich zusammen und wandte sich wieder an Hargreaves.
»Tja, wenn ich Glück habe, dann erwartet mich meine Ruth schon am Flugfeld.«
Als er an sie dachte, musste er lächeln. In einer Woche würde er sie wieder in
die Arme schließen und sie in der fahlen Wintersonne herumwirbeln. Sein Herz
pochte in der Brust, als wollte es gleich zerspringen. Genau das half ihm,
nicht den Verstand zu verlieren, genau dafür kämpfte er: sein Leben in England
und das Leben aller Menschen, die er

Weitere Kostenlose Bücher