Die Tage des Regenbogens (German Edition)
morgens klingelte das Telefon. Wir wärmten die Spaghetti puttanesca auf und öffneten noch einen Rotwein. Don Adrián gab mir Geld für ein Taxi. Metro fuhr keine mehr.
»Und du?«
»Keine Ahnung. Ich habe dich angerufen, weil du so nett zu mir warst, und wenn man Liebe gibt, bekommt man Liebe zurück.«
»Woher hast du denn das?«
»Solche Sachen hat meine Oma immer gesagt.«
»Worum geht’s? Hier. Ich habe dir die neueste Caras mitgebracht.«
»Michelle Pfeiffer auf dem Titelblatt! Super Woman. Oder?«
»Sie ist sexy.«
»Dein Typ, oder?«
»Ich weiß nicht, Laura. Ich weiß nicht, was mein Typ ist. Ich bin gerade achtzehn geworden. Und ich verstehe davon auch nichts.«
»Aber Patricia Bettini …«
»Was ist mit Patricia?«
»Sie ist so …«
»So was?«
»So elegant. Im Vergleich zu ihr bin ich …«
»Du bist anders, Laura. Niemand ist besser oder schlechter. Sondern einfach nur anders als die anderen.«
»Gefalle ich dir?«
»Ich finde dich klasse.«
»Ich habe Coca-Cola, Bilz, Pap und Bier. Aber nur Escudo.«
»Cola.«
»Mit Eis?«
»Drei Würfel.«
Sie geht in die Küche und bringt eine Familienflasche Cola. Sie hat einen Teller mit Käsewürfeln und grünen Oliven vorbereitet. Ein Feierabendaperitif zur Mittagszeit.
»Setz dich, du siehst hundemüde aus.«
»Schieß los«, sage ich, während ich mich setze.
Sie macht es sich an einem Ende des braun gepolsterten Rattansofas bequem. Wie eine Dame hält sie die Knie geschlossen und verbirgt ihre glatten, braunen Schenkel.
»Es geht um deinen Papa, Nico.«
Darum wollte sie also, dass ich herkomme. Kein Wort am Telefon. Ich will nicht hören, was sie mir zu sagen hat. Lieber will ich auf der Stelle tot sein.
»Weißt du etwas?«
Laura blickt auf die Wände, von dort zur Schlafzimmertür, zu einer anderen Tür, die auf einen kleinen Balkon führt. Sie hat einen Druck von Degas’ Tänzerinnen aufgehängt und ein riesiges Foto von Travolta, auf dem er eine enge weiße Hose und ein bis zur Brust offenes kurzärmeliges Hemd anhat.
»Nico … Ich weiß, wie wir zu ihm kommen.«
»Ist er am Leben? Señor Paredes haben sie …«
»Ich weiß.«
Sie hält etwas vor mir zurück. Sie muss mir etwas sagen, aber sie weißt nicht, wie. Warum hat sie mich herbestellt?
»Laura, bitte.«
Sie schüttelt ihre lockige Mähne und sieht mir fest und lange in die Augen.
»Was ich dir jetzt erzähle, wirft auf mich kein gutes Licht. Ich erzähle es dir nur, weil du mir geholfen hast.«
»Ist gut. Sag schon.«
»Du bist ein unschuldiger Junge, aber du bist mir immer aufgefallen. Ich mache es für dich. Und für Señor Paredes. Er hat mir eine Fünf gegeben. Für die erste Strophe von Annabel Lee . Von Poe. Weißt du noch? Endlich haben Sie Ihre Fünf, hat er zu mir gesagt.«
»Aha.«
Sie fährt sich mit der Hand an die Nase, ihr Atmen klingt verschnupft.
»Die Wohnung hier bezahlt mir ein Macker. Verstehst du?«
»Ja.«
»Ein verheirateter Macker.«
»Ja.«
»Er ist ein Strippenzieher.«
»Bei der CNI?«
»Willst du mir eine Moralpredigt halten?«
Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, was ich tun oder was ich sagen soll. Ich habe so etwas nicht erwartet. Ich trinke meine Cola halb aus. Den Eiswürfel in meinem Mund schiebe ich mit der Zunge hin und her.
»Nein.«
»Ich glaube, über ihn können wir zu deinem Papa gelangen.«
»Wie das?«
»Vertrau mir, Nico.«
Ich wäre jetzt gern erwachsen. Ich würde gern mehr vom Leben verstehen. Mehr Bücher gelesen haben. Die Psyche der Menschen durchschauen können.
»Was muss ich machen?«
Laura beugt sie zu mir. Sie nimmt meine Hände und legt sie sich auf den Mund. Ohne sie zu küssen. Sie drückt nur ihre Lippen gegen meine Finger.
»Hast du ein bisschen Geld?«
Ich sehe sie an, zeige ihr offen meine Betretenheit.
»Woher denn, Laura? Ich habe noch nicht mal Papas Septembergehalt abgeholt, weil ich Angst habe, dass sie mich festnehmen.«
»Kannst du nicht irgendwoher ein paar Pesos bekommen? Zum Beispiel etwas verkaufen?«
»Was denn?«
»Ich weiß nicht. Ein Auto.«
»Wir haben kein Auto. Wir gehen immer zu Fuß. Oder fahren Metro.«
»Einen Fernseher.«
»Einen Fernseher haben alle. Was gibt man mir schon für einen Fernseher?«
Laura nimmt meine Finger von den Lippen. Sie küsst sie einen nach dem anderen. Dann zwinkert sie ein paarmal. Sie sieht mich dabei nicht an.
»Ich verstehe, Nico, ich verstehe.«
Dann holt sie aus einem Schrank eine Flasche weißen Bacardi. Sie
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