Die Tage des Zweifels: Commissario Montalbano träumt von der Liebe (German Edition)
der Augenblick gekommen, die Sache nüchtern zu betrachten, sofern er es schaffte, die Leidenschaft außen vor zu lassen.
Laura hatte ihm auf Anhieb gefallen, und mit Rührung, ja Ergriffenheit hatte er etwas empfunden, was er seit seiner Jugend nicht mehr erlebt hatte.
Doch das ging bestimmt nicht nur ihm so, sondern vielen, die die fünfzig überschritten hatten. Wie konnte er es beschreiben? Es war ein ebenso verzweifelter wie sinnloser Versuch, sich wieder jung zu fühlen und all die vergangenen Jahre einfach auszulöschen.
Und genau das war so verwirrend, weil man nicht mehr zu unterscheiden vermochte, ob das Gefühl echt war, authentisch, oder unecht und trügerisch. Schließlich war es aus der Illusion entstanden, die Zeit zurückdrehen zu können. War ihm nicht genau dasselbe mit der Turnierreiterin passiert? Im Falle von Laura hatte er keine Gelegenheit gehabt, sich Klarheit zu verschaffen. Er hatte sich vom Strudel der Ereignisse mitreißen lassen, die er selbst in Gang gesetzt hatte.
Und als Laura ihm gesagt hatte, sie empfinde für ihn dieselbe Zuneigung, wie hatte er da reagiert?
Er war glücklich, und gleichzeitig verspürte er Angst.
Glücklich, weil das Mädchen ihn liebte? Oder weil er es in seinem Alter geschafft hatte, dass eine Jüngere sich in ihn verliebte?
Das war keineswegs ein und dasselbe.
Und diese Angst, die er empfand, wenn er an die Folgen dachte? Das bedeutete doch, dass seine Vernunft gegenüber seinem Gefühl immer noch die Oberhand hatte.
Die Liebe schaltet den Verstand aus oder legt ihn zumindest auf Eis. Wenn er noch so weit vorhanden ist, dass er einem die Schattenseiten der Beziehung vor Augen führt, dann ist es keine wahre Liebe.
Womöglich verhielt sich die Sache doch ein wenig anders.
Vielleicht entsprang die Angst auch dem deutlichen Gefühl, der Situation nicht gewachsen zu sein: der Vehemenz eines echten Gefühls nicht standhalten zu können.
Bei dieser möglicherweise zutreffenden Überlegung beschlich ihn ein Verdacht.
Steckte hinter seiner Idee, mit Lauras Hilfe Mimì mit der Yachtbesitzerin in Kontakt zu bringen, nicht vielleicht eine andere Absicht, die er sich nicht eingestehen wollte?
Bist du imstande, sie klar und deutlich beim Namen zu nennen, Montalbà?
Wusstest du nicht, dass die Geschichte eine ganz andere Wendung nehmen konnte, wenn du Laura mit Mimì bekanntmachen würdest? Hast du das nicht bedacht? Oder – sei bitte ehrlich – hast du es in dein Kalkül einbezogen? Hast du nicht insgeheim gehofft, dass Laura mit Mimì ins Bett geht? Hast du sie ihm nicht praktisch aufgedrängt?
Auf diese letzte Frage wusste er keine Antwort.
Nach einer halben Stunde stand er vom Bett auf.
Mit einem großartigen Ergebnis: Seine Schwermut war nicht verschwunden, sondern hatte zugenommen und sich zu einer tiefen Melancholie ausgewachsen. Der Melancholie des Abends, wie Vittorio Alfieri es genannt hatte: l’umor nero del tramonto .
Elf
»Dottori, ah Dottori! Dottor Pasguano hat angerufen, weil er Sie sprechen und mit Ihnen reden wollte, und zwar persön…«
»Hat er gesagt, ob er wieder anruft?«
»…lich selber. Nein, das nicht, Dottori. Aber was anderes hat er mir gesagt.«
»Was denn?«
»Sie sollen ihn anrufen im Institut für ranzige Medizin.«
»Und das wäre?«
»Das wär’s gewesen, Dottori. Wie gesagt.«
Endlich ging Montalbano ein Licht auf.
»Catarè, das heißt nicht für ranzige, sondern forensische Medizin.«
»Dann heißt es halt so, Dottori. Hauptsache, dass Sie mich verstehen.«
»Ruf im Institut an, und wenn du den Dottore an der Strippe hast, stell ihn zu mir durch.«
Das Telefon klingelte nach etwa zehn Minuten.
»Dottore, wo brennt’s?«, fragte der Commissario.
»Sie wundern sich?«
»Allerdings. Dass Sie mich anrufen, ist ein Ereignis so selten wie ein Erdbeben.«
»Wie geistreich! Sagen wir mal so: Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, kommt der Prophet eben zum Berg.«
»Aber Dottore, im vorliegenden Fall hatte der Berg doch keinerlei Veranlassung, zum Propheten zu kommen.«
»Stimmt. Und deshalb bin ich diesmal dran, Ihnen auf den Senkel zu gehen.«
»Nur zu. Das ist dann der Ausgleich für all die Male, wo es umgekehrt war.«
»O nein, mein Lieber! Kommen Sie mir nicht oberschlau! Da hab ich noch einiges gut. Sie können Ihr ständiges, entsetzliches Generve doch nicht mit …«
»Ist ja gut, ist ja gut. Spannen Sie mich nicht auf die Folter.«
»Fallen Ihnen die Zeichen des Alters auf? Früher
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