Die Tage des Zweifels: Commissario Montalbano träumt von der Liebe (German Edition)
Konzert in seinen Ohren.
Ruckartig sprang er auf.
»Fazio, das hast du gut gemacht!«
Fazio ließ sich umarmen. Völlig verwirrt fragte er sich, ob der Commissario noch alle Tassen im Schrank hatte.
Als Montalbano ihn endlich aus seiner Umarmung entließ, fragte Fazio zaghaft und mit hauchdünner Stimme:
»Und wie geht es jetzt weiter?«
»Darüber reden wir noch, darüber reden wir noch!«
Im Hinausgehen hörte er, wie der Commissario anfing zu singen. Und von einem beschwingten Montalbano erfuhr Geremicca von Lannecs Gesichtsoperation.
Auf einmal bekam Montalbano unbändigen Appetit.
Er schaute auf die Uhr: schon halb neun. Das Geigenspiel war verstummt, die Glocken klangen noch nach.
Er stand auf, verließ sein Büro und ging wie ein Schlafwandler mit geschlossenen Augen an Catarella vorbei. Der kippte fast aus den Schuhen.
»Geht es Ihnen gut, Dottori?«
»Jaja, gut.«
Machte man sich jetzt schon Sorgen um seine Gesundheit? Im Moment jedenfalls fühlte er sich regelrecht verjüngt. Wie ein Zwanzigjähriger. Nein, jetzt übertreib mal nicht, Montalbà. Sagen wir: wie ein Vierzigjähriger.
Er stieg ins Auto und nahm Kurs auf Marinella. Kaum war er in der Wohnung, stürzte er zum Kühlschrank. Nichts, gähnende Leere, mit Ausnahme eines Tellers Oliven und eines Gläschens Sardellen. Eilig sah er im Backofen nach. Auch hier nichts. Jetzt erst entdeckte er den Zettel auf dem Küchentisch.
Ich vüle mich nich ser woll weil ich Kopf Schmertzen habe ich kann heute nich Kochen und geh wieder nachause enschulligen Sie Adelina.
Nein, er hätte es nicht ausgehalten, diese besondere Nacht mit leerem Magen durchzustehen.
Er hätte kein Auge zugetan. Da gab es nur eins: sich wieder ins Auto zu setzen und bei Enzo zu essen.
»Hat Adelina Sie im Stich gelassen?«, fragte Enzo, als er ihn eintreten sah.
»Es ging ihr nicht gut, deshalb konnte sie nicht kochen. Was gibt’s denn heute?«
»Was Sie wünschen.«
Zum Auftakt wählte er ein Antipasto aus Meeresfrüchten. Da die frittierten Sardinen so richtig schön knusprig waren, bestellte er gleich noch eine zweite Portion. Dann setzte er das Mahl mit einem ordentlichen Teller Spaghetti al nero di seppia fort und schloss es mit einer doppelten Portion Barben und Marmorbrassen ab.
Als er das Lokal verließ, war ihm klar, dass er unbedingt einen Spaziergang bis zum Leuchtturm brauchte. Er machte aber nicht den weiten Bogen, der ihn an den beiden Yachten vorbeiführte. Zu dieser späten Stunde war die Mole menschenleer. Zwei Frachter lagen am Kai, aber ohne jede Beleuchtung. Er ließ sich Zeit und setzte gemächlich einen Fuß vor den anderen.
Ein friedlicher Abend. Er lauschte dem sanften Atem des Meeres.
Auf dem flachen Felsen ließ er sich nieder und zündete sich eine Zigarette an.
Während er so nachdachte, kam ihm die bittere Erkenntnis, dass er zwar ein ziemlich guter Commissario war, aber als Mann eher eine Niete.
Denn auf dem Weg zum Leuchtturm hatte er an nichts anderes denken können als an Laura und an seine Reaktion auf die Nachricht, dass sie die Nacht nicht mit Mimì verbracht hatte.
Seine Freude darüber fand schlagartig ein Ende, als er sich fragte: Was hast du eigentlich für eine Meinung von dieser jungen Frau, Montalbà? Tags zuvor wollte sie nicht mit dir allein bleiben aus Angst, sie könne ihre Gefühle nicht im Zaum halten, und jetzt bist du dir sicher, dass sie sich sofort Mimì an den Hals werfen würde! Und das treibt dich zur Verzweiflung!
Aber warum bist du dir dessen eigentlich so sicher? Das aufrichtige und faire Verhalten Lauras gibt dir ganz gewiss keinen Anlass dazu.
Was folgt daraus? Steckt dahinter nicht ein Vorurteil, das du nicht nur Laura, sondern allen Frauen gegenüber hegst?
Das Vorurteil, dass ihnen jederzeit alles zuzutrauen ist. Aber ist das nicht ein völlig schwachsinniger Gedanke von jemandem, der von Frauen keine Ahnung hat? Mach doch die Probe aufs Exempel, Montalbà: Sag Laura, dass du gedacht hattest, sie lande mit Mimì im Bett. Dann wirst du ja sehen, wie sie reagiert. Sie wird dir eine runterhauen und auf einer Entschuldigung bestehen, mindestens.
»Laura, bitte verzeih mir«, sagte er laut.
Er nahm sich vor, sie am nächsten Morgen anzurufen.
Nach einer weiteren Zigarette stand er auf und machte sich auf den Rückweg. Als er die Mitte des Kais erreicht hatte, hörte er hinter sich das Geräusch eines Schnellboots, das in den Hafen einfuhr. Er drehte sich um.
Das Schnellboot der Küstenwache hielt
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