Das Kabinett der Wunder
Prolog
DIE GELBEN Hügel hoben und senkten sich zu sonnigen Kuppen und Tälern. Die böhmische Landschaft sah an diesem strahlenden Augustmorgen fast aus wie ein goldener Ozean mit riesigen, wogenden Wellen.
Ein klappriger Karren war in einem Tal unterwegs. Zwei Männer hockten auf dem Kutschbock und blickten auf das stämmige Pferd, das sie zog. Und dann lag da ein in Stoff gewickeltes Bündel hinter den Männern, das fast die ganze Ladefläche des Karrens einnahm.
Einer der beiden, Jarek, hielt die Zügel. »Dafür müsste ich extra bezahlt werden«, sagte er. »So ein Gestank.«
»Was meinst du?«, fragte Martin, Jareks Begleiter. Er wandte sich um und blickte auf das Bündel.
Jarek bemerkte das. »Nein, nicht der. Dieser verdammte Raps. Der stinkt übler als ein fünfhundert Jahre altes Plumpsklo.«
»Ach so«, erwiderte Martin. »Ich finde, er riecht gut.«
Das Gelb der Hügel stammte von Abertausenden von Rapspflanzen in voller Blüte.
Jarek würgte. »Ich möchte keiner von euch Leuten aus den Bergen sein, die auf den Blumenfeldern arbeiten. Bis ich wieder in Prag bin, stinken meine Kleider.«
Zu träge, um beleidigt zu sein, lehnte sich Martin auf dem rissigen Kutschbock aus Leder zurück. »Viele Leute mögen den Geruch von Raps. Das ist eben eine von den Sachen, die man entweder liebt oder hasst.Wie Spargel essen.«
»Nachdem du mit dem Gestank aufgewachsen bist, ist doch klar, dass du dich daran gewöhnt hast.«
»Denk dran« - Martin drohte ihm mit dem Finger und tat so, als hätte er die letzte Äußerung nicht gehört - »Böhmen braucht diese Pflanzen. Ich wette, das gibt dieses Jahr eine gute Ernte. Bald sind die Bauern draußen auf den Feldern, um den Samen einzusammeln und ihn zu Öl zu pressen. Du kannst über den Geruch meckern wie eine Ziege, aber dieser Raps wird für alle möglichen Sachen gebraucht.«
Das Pferd trabte über den unbefestigten Weg, und eines der Wagenräder sackte in ein Schlagloch, sodass der Karren durchgerüttelt wurde.
Das Bündel hinten im Wagen stöhnte.
»Der schon wieder!« Martin wandte den Kopf und blickte finster auf die dunkle Gestalt. »Nichts da. Du hältst jetzt mal ein bisschen still.« Er stieß ein ungeduldiges Knurren aus, nahm den Hut ab und fächelte sich über das verschwitzte Gesicht. »Es ist heiß«, sagte er und seufzte.
»Ja-a«, sagte Jarek schleppend und blickte nach vorne.
»Bringt aber gutes Geld, diese Fuhre.«
»Hmm.« Jarek schnalzte mit den Zügeln. »Jedenfalls sind wir bald da. Noch ungefähr eine halbe Stunde.«
»Was, bist du schon mal hier gewesen? Ich hab gedacht, du hast Prag noch nie verlassen.Wieso kennst du dann die Gegend hier?«
»Kenne ich auch nicht.« Jarek setzte sich auf dem Bock zurecht. »Aber das Pferd kennt sie.«
Martin sah ihn befremdet an. »Und das hat dir gesagt, wie lange wir noch unterwegs sind, oder wie?«
Jarek lachte, vielleicht zum ersten Mal während der ganzen Fahrt. »Nein, natürlich nicht! Ich hab nur Spaß gemacht.«
Doch Martin hielt das für einen seltsamen Spaß.
»Weißt du, was er getan hat?«, fragte Jarek und deutete mit dem Kinn auf das Bündel, dessen Atem lauter und abgehackter geworden war.
Martin sah Jarek immer noch misstrauisch an. »Nein, hab nicht gefragt. Und das ist die reine Wahrheit.«
Jarek nickte. »So ist es am besten.«
»Der Befehl«, sagte Martin, »der ist vom Prinzen selbst gekommen.«
Das war neu für Jarek, auch wenn er so etwas geahnt hatte. Und als er das nun hörte, wurde ihm klar, warum er während der letzten paar Stunden in ziemlich düsterer Stimmung gewesen war. Sich das bewusst zu machen, war, wie plötzlich einen Krampf zu bekommen, wenn man zu lange in einer Stellung gesessen hatte. Und tatsächlich, dachte Jarek, er hatte tatsächlich einen Krampf im Rücken.
»Du hast mir nicht gesagt, dass der Auftrag direkt vom Prinzen gekommen ist«, sagte er.
»Du hast ja auch nicht gefragt.«
Das stimmte. Jarek hatte keine Fragen gestellt, als Martin, der sich auch um die Pferde des Prinzen kümmerte, ihm verkündet hatte, dass sie etwas in das Städtchen Okno zu liefern hätten (ein Teil des Verdienstes ginge natürlich an Jarek). Und Jarek hatte auch nicht nachgefragt, als zwei Diener der Burg zu ihm und Martin in den Stall kamen und einen Mann mit sich schleppten, der kaum noch bei Bewusstsein zu sein schien und dessen Gesicht mit einer blutigen Bandage umwickelt war.
»Ah, da sind wir«, sagte Martin und deutete auf eine Reihe von
Weitere Kostenlose Bücher