Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
von dem er annahm, dass es sich um Dr. Normann
handelte, lag nackt neben der vollen Badewanne, das Genick so grotesk verdreht, dass Torsten auch auf die Entfernung seinen Tod feststellen konnte. Erleichtert, weil er bisher nur die Klinken der Türen berührt hatte, zog er Andreas Handy aus der Tasche und wählte die Nummer der Polizei.
SIEBENUNDZWANZIG
T orsten stöhnte innerlich auf, als sich die Tür des Aufzugs öffnete. Ausgerechnet sein Intimfeind Trieblinger trat heraus, blieb stehen und zog die Stirn kraus, als er ihn erkannte.
»Sie, Renk? Was soll denn der Unsinn mit einem ermordeten Arzt?«
»Für Sie mag es Unsinn sein, aber für den Toten ist es gewiss keiner.« Torsten trat beiseite, damit der Kripomann eintreten konnte, und führte ihn ins Badezimmer.
Trieblinger zog die Augenbrauen hoch, als er den Toten sah, und drehte sich zu Torsten um. »Sie haben wohl nicht zufällig damit zu tun?«
Torsten hob mit einem freudlosen Grinsen die Hände. »Mit Sicherheit nicht. Mir wäre Dr. Normann als Lebender sehr viel lieber gewesen denn als Toter. Ich wollte ihn wegen der Sache mit meiner Freundin sprechen.«
»Die Untersuchung des Falls ist abgeschlossen. Es gibt keinen Hinweis auf Fremdeinwirkung. Und wie es aussieht, kann man das wohl auch hier rasch ausschließen.« Trieblinger zeigte dabei auf ein Stück Seife auf dem Boden, das gegen die Wand geklatscht war.
»Anscheinend ist der Tote beim Verlassen der Badewanne darauf getreten und ausgerutscht. Dabei ist er mit dem Kopf
gegen den Beckenrand geschlagen und hat sich das Genick gebrochen.«
Die Erklärung klang anhand der vorgefundenen Indizien durchaus schlüssig, doch Torsten glaubte nicht im Entferntesten, dass es sich so abgespielt hatte. »Bei Ihnen sterben wohl alle Leute eines natürlichen Todes, und sei es an dem Luftzug, den eine Kugel im Kopf erzeugt hat.«
Trieblinger lief rot an. »Sie! Das lasse ich mir von Ihnen nicht gefallen. Ich bin seit fünfundzwanzig Jahren bei der Kriminalpolizei und habe immer sorgfältig gearbeitet.«
»Einmal fängt jeder an nachzulassen«, antwortete Torsten ungerührt.
Trieblinger fluchte leise und sah ihn dann triumphierend an. »Jetzt beantworten Sie mir erst einmal die Frage, was Sie hier wollten und wie Sie überhaupt in diese Wohnung gekommen sind?«
»Dr. Normann war der Vorgesetzte meiner Freundin. Ich wollte mit ihm über sie sprechen. Als ich gekommen bin, war die Tür nur angelehnt. Sie ging auf, als ich dagegengedrückt habe«, log Torsten ohne Gewissensbisse.
Er hatte seine eigene Version von Dr. Normanns Tod und ärgerte sich jetzt, dass er sofort die Kripo gerufen hatte, anstatt vorher die Wohnung zu durchsuchen. Andererseits war er ziemlich sicher, dass er hier nicht fündig geworden wäre. Wer auch immer für den Mord an Dr. Normann verantwortlich war, hatte sichergehen wollen, dass dessen Beziehung zu den Besitzern der Wohnungen in dem Neuperlacher Hochhaus im Verborgenen blieb.
Während er Trieblinger und dessen Kollegen zuschaute, die die Spuren zu sichern begannen, empfand er unwillkürlich Mitleid mit ihnen. Die Leute von der Kripo standen einem Verbrecher gegenüber, dessen Verschlagenheit und Skrupellosigkeit sie nichts entgegenzusetzen hatten. Das Gefühl
schwand jedoch rasch wieder, als er vernahm, mit welcher Energie Trieblinger auch diesmal seine eigene Theorie verfocht und behauptete, der Tod des Arztes sei ein banaler Unfall.
Einer der jüngeren Beamten schien nicht davon überzeugt zu sein. »Dr. Normann wurde mehrfach bei Razzien in einschlägigen Stricherlokalen angetroffen. Diesen Aspekt sollten wir nicht außer Acht lassen. Er wäre nicht der erste Homosexuelle, der von seinem, äh, Besucher umgebracht wurde. « In Torstens Augen sah dies ganz und gar nicht nach einer im Affekt vollzogenen Tat eines sich schlecht behandelt oder bezahlt fühlenden Strichers aus, sondern nach einer gut geplanten Aktion. Dies Trieblinger zu sagen, wäre jedoch vergebliche Liebesmüh gewesen.
Torsten war sich sicher, dass der Mörder ihm zuvorgekommen war, und ärgerte sich. Es würde ihn viel Zeit kosten, eine neue Spur zu finden, und er konnte nur hoffen, dass diese nicht ebenso vertrocknet sein würde wie der Weinfleck auf Dr. Normanns Wohnzimmertisch.
Bedrückt kehrte er in Andreas Apartment in Neuperlach zurück. Dort schaltete er den Fernseher ein und starrte auf den Bildschirm, ohne wirklich wahrzunehmen, was gesendet wurde. Nach einer Weile hörte er seinen Magen knurren.
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