Die Tallinn-Verschwörung - Thriller
am Kiosk gekauft hatte, neigte sich bereits dem Ende zu, als ihr einfiel, dass sie in Castel Gandolfo selbst nachfragen konnte. Der Telefonist, den sie an den Apparat bekam, erwies sich als auskunftsfreudig, und so erfuhr sie, dass der Papst ihren Onkel nach San Isidoro in Klausur geschickt hatte. Sie kannte das Kloster dem Namen nach, wusste jedoch nicht, in welcher Gegend Italiens es sich befand. Allzu nahe konnte es jedoch nicht sein, denn als sie die Nummer anwählte und mit dem Mönch sprach, der abgehoben hatte, rasten die
Ziffern auf dem Gebührenzähler in beängstigender Weise nach unten.
»Können Sie mich zu meinem Onkel Kardinal Monteleone durchstellen. Es ist dringend!«
»Seine Eminenz hat sich zum Gebet zurückgezogen und will nicht gestört werden!«
Graziella starrte auf die Anzeige, die sich langsam der Null näherte, und war am Verzweifeln. »Hören Sie, ich muss dringend mit meinem Onkel reden. Wenn Sie ihn nicht ans Telefon holen, bleibt mir nichts anderes übrig, als zu Ihrem Kloster zu fahren.«
»Das sollten Sie nicht tun, denn wie ich schon sagte, darf der Kardinal nicht gestört werden. Am besten, Sie schreiben ihm einen Brief. Unser hochwürdiger Herr Abt wird ihn sich ansehen und entscheiden, ob er Seiner Eminenz übergeben werden kann. Sie müssen sich aber in Geduld …«
Mehr konnte Graziella nicht hören, da ihr Guthaben aufgebraucht war und das Telefon abschaltete. Wütend kehrte sie der Telefonsäule den Rücken und ging durch das Dorf. Am Kiosk überlegte sie, ob sie noch einmal eine Telefonkarte kaufen sollte, unterließ es dann aber. Ein weiterer Anruf in San Isidoro würde ebenso erfolglos sein wie der erste. Wie es aussah, war ihr Onkel dort kein Gast, sondern eher ein Gefangener, dem jeder Kontakt zur Außenwelt verwehrt wurde. Es erschien ihr widersinnig, dass so etwas im einundzwanzigsten Jahrhundert noch möglich war, denn die Zeit, in denen die Päpste wie weltliche Fürsten geherrscht und Urteile gesprochen hatten, lag schon weit zurück. Doch wie es aussah, griffen die vatikanischen Behörden auch heutzutage noch auf die alten Methoden zurück, wenn es ihnen opportun erschien.
Für sie bedeutete es, dass sie ihren Großonkel nicht so rasch von ihren Entdeckungen berichten konnte, wie sie sich
das vorgestellt hatte. Bei dem Gedanken schienen die Unterlagen in ihrer Umhängetasche mit einem Mal wie Bleibarren an ihrer Schulter zu zerren. Sie musste mit dem Kardinal sprechen, ganz gleich, wer sie daran zu hindern versuchte. Als Erstes würde sie nach Rom zurückkehren, um anhand der Telefonnummer herauszufinden, in welchem Teil Italiens dieses Kloster lag. Außerdem brauchte sie mehr Geld, als sie bei sich hatte. Um sich die Zeit bis zur Abfahrt des Busses nach Rom zu verkürzen, kaufte sie sich eine Zeitung und schlug sie auf. Die Berichte über die erneut ausgebrochenen Streitigkeiten in der italienischen Regierung überflog sie, doch dann stolperte ihr Blick über etwas, das sie erschreckte. Der Faschistenanführer Fiumetti hatte seine Hetzreden vor mehr als zehntausend Zuhörern in einer Provinzstadt gehalten und war dort bejubelt worden. Am Rande der Veranstaltung waren die wenigen Gegendemonstranten von seiner Garde zusammengeschlagen und vertrieben worden, ohne dass die zu Hilfe gerufenen Carabinieri eingegriffen hätten.
Angeekelt blätterte Graziella weiter, doch in den übrigen EU-Ländern sah es auch nicht besser aus. In Dänemark war ein Asylantenheim angezündet und die Bewohner verjagt worden, und in Deutschland wurde eine große Versammlung islamischer Verbände angekündigt, die gegen die Sprengung einer Moschee in München demonstrieren wollten.
VIERZEHN
I n der Villa im Münchner Westen saßen Feiling und Hoikens vor dem Bildschirm und starrten auf die Szenen, die das Fernsehen übertrug. Die Innenstadt war ein einziges Chaos. Aufgebrachte Muslime machten Jagd auf jeden, der
ihnen vor die Füße kam. Schaufenster wurden eingeschlagen, Geschäfte geplündert, und beinahe beiläufig erwähnte der Reporter, dass der Oberbürgermeister und einige weitere Personen mit einem Hubschrauber vom Dach des Rathauses gerettet worden waren, während der entfesselte Mob Akten und Computer aus den Fenstern geworfen hatte.
Als ein gutes Dutzend Glatzköpfe von einer weit überlegenen Zahl Muslime eingeholt und eingekreist wurde, schaltete Feiling ab. »Gott im Himmel, das ist ja entsetzlich!«
Hoikens zuckte mit den Achseln. »Erinnere dich daran, dass es deine
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