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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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Schmutz weg. Zum erstenmal seit halb sieben heute morgen, seit sie die Küche ihrer Mutter verlassen und auf die dunklen Straßen von Whitechapel hinausgegangen war, konnte sie sich setzen.
    Um Viertel vor sieben kam sie in der Teefabrik an. Mr. Minton hatte sie an der Tür erwartet und ihr aufgetragen, die Halbpfunddosen für die anderen Verpackungsarbeiterinnen herzurichten, die um sieben mit der Arbeit begannen. Diejenigen, die mit der Mischung beauftragt waren und in den oberen Stockwerken arbeiteten, hatten am Tag zuvor zwei Tonnen Earl Grey vorbereitet, der bis zum Mittag verpackt werden mußte. Fünfundfünfzig Mädchen hatten fünf Stunden Zeit, um achttausend Dosen zu füllen. Das hieß etwa zwei Minuten Arbeitszeit für eine Dose. Nur Mr. Minton fand, daß zwei Minuten zu lang waren, weshalb er hinter den Mädchen stehenblieb – sie überwachte, drangsalierte und antrieb. Nur um ein paar Sekunden bei der Füllung einer Teedose herauszuschinden.
    An den Samstagen wurde nur halbtags gearbeitet, aber gerade diese kamen ihr endlos vor, weil Mr. Minton dann die Mädchen ganz besonders antrieb. Das war nicht seine Schuld, wie Fiona wußte, er befolgte nur die Anweisungen von Mr. Burton persönlich. Wahrscheinlich war ihr Arbeitgeber sauer, weil er seinen Angestellten einen halben Tag freigeben mußte, und dafür ließ er sie büßen. An den Samstagen bekamen sie keine Pause und mußten fünf volle Stunden stehen. Wenn sie Glück hatte, wurden ihre Beine taub, wenn nicht, taten sie allmählich immer heftiger weh, ein Schmerz, der in den Fußgelenken begann und langsam den Rücken hinaufzog. Aber noch schlimmer als das Stehen war die zermürbende, eintönige Arbeit selbst: ein Schild auf eine Dose kleben, den Tee abwiegen, ihn einfüllen, die Dose versiegeln und in eine Kiste stellen, dann alles wieder von neuem. Die Monotonie war eine Tortur für einen wachen Geist wie den ihren, und es gab Tage wie den heutigen, an denen sie dachte, sie würde wahnsinnig werden und nie davon loskommen, Tage, an denen sie sich fragte, ob all ihre großen Pläne, ihre Opfer, je zum Ziel führen würden.
    Sie zog die Haarnadeln aus dem schweren Knoten an ihrem Hinterkopf und schüttelte das Haar auf. Dann löste sie die Schnürsenkel an ihren Stiefeln, streifte sie ab, zog die Strümpfe aus und streckte die langen Beine. Sie schmerzten immer noch von dem schier endlosen Stehen. Auch der Spaziergang zum Fluß hatte nichts geholfen. Sie konnte förmlich hören, wie ihre Mutter schimpfte: »Wenn du ein bißchen Verstand hättest, Kind, nur ein ganz kleines bißchen, würdest du gleich heimkommen und dich ausruhen, statt zum Fluß runterzurennen.«
     Nicht zum Fluß gehen? dachte sie und bewunderte die silbrige Themse, die in der Augustsonne glänzte. Wer könnte dem widerstehen? Muntere kleine Wellen schlugen ungeduldig gegen die Stufen der Old Stairs und spritzten sie naß. Sie beobachtete, wie sie langsam auf sie zusprangen, und stellte sich vor, daß der Fluß ihre Zehen berühren, über ihre Fußgelenke schwappen, sie in seinen verlockenden Strom hineinziehen und mit sich forttragen würde. Ach, wenn sie doch fortkönnte.
    Während sie übers Wasser blickte, spürte Fiona, wie ihre Müdigkeit abklang und eine plötzliche Frische an ihre Stelle trat. Der Fluß belebte sie. Die Leute sagten, daß die City, das Handels- und Regierungszentrum im Westen von Wapping, das Herz von London sei. Wenn das stimmte, dann war dieser Fluß sein Lebenssaft. Und Fionas Herz machte einen Freudensprung angesichts seiner Schönheit.
    Alles, was auf der Welt interessant und aufregend war, lag direkt vor ihr. Voller Staunen beobachtete sie die Schiffe, die den Fluß überquerten und mit Gütern aus den entferntesten Teilen des Empire beladen waren. Heute nachmittag herrschte dichter Verkehr auf der Themse. Stakkähne und Barkassen durchpflügten das Wasser und transportierten Männer von und zu Schiffen, die in der Mitte des Stroms ankerten. Ein mächtiger Dampfer drängte kleinere Fahrzeuge aus dem Weg. Ein zerbeulter Trawler, der vom Kabeljaufang in den eisigen Wassern der Nordsee zurückkehrte, fuhr flußaufwärts nach Billingsgate. Lastkähne kämpften um Durchfahrtsrecht, fuhren flußauf- und flußabwärts, löschten Fracht – eine Tonne Muskatnüsse hier, Säcke mit Kaffee dort. Fässer mit Melasse. Wolle, Wein und Whiskey. Tabakbündel und Kisten mit Tee.
    Und überall, auf den vorspringenden Docks, mit ihren Kapitänen konferierend oder

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