Die Teerose
mein Schatz, ich bin nicht hinter deinem Herzen her.« Dann hatte sie ihm die Hose heruntergezogen und ihre vollen roten Lippen benutzt, um ihn alles vergessen zu lassen. Jedenfalls vergaß er für eine kleine Weile den ständigen Schmerz, ohne Fiona leben zu müssen. Sie waren in ihr Schlafzimmer gegangen, und er hatte versucht, in ihrem wunderbar wollüstigen Leib völliges Vergessen zu finden. Was ihm tatsächlich gelang … für eine kurze Weile. Er hatte sich sogar eingeredet, diesmal der Trauer entwischt zu sein. Aber das stimmte nicht. Als es vorbei war, traf ihn der Schmerz doppelt so heftig. Wie immer, nachdem seine Lust abgekühlt und sein Körper befriedigt war, sein Herz sich jedoch betrogen fühlte, weil es immer noch leer, aber voller Sehnsucht war, die nicht gestillt werden konnte.
»Bist du sicher, daß du nicht bleiben willst?« fragte Maud. »Du kannst eines der Gästezimmer haben. Du mußt die Nacht nicht hier verbringen.« Als er erneut ablehnte, sagte sie: »Du bist der einsamste Mensch, der mir je untergekommen ist, Joe. Genauso argwöhnisch und angeschlagen wie ein verwundeter Tiger.«
Er antwortete nicht. Inzwischen angezogen, ging er zu ihrem Bett hinüber und küßte sie auf die Stirn. Dann deckte er sie zu und riet ihr zu schlafen.
»Ich schlafe nicht, Liebling«, antwortete sie und beugte sich über ihren Nachttisch, um die Lampe und die Opiumpfeife anzuzünden.
Mauds Dienerschaft war schon zu Bett gegangen, also ließ sich Joe selbst hinaus. Als er in Richtung Eccleston Street ging, um eine Droschke zu nehmen, senkte sich die Trauer wie ein schweres Bleigewicht auf ihn und drückte ihn nieder. Er war dankbar um die eisige Winternacht, dankbar, allein zu sein. Der Abend war ein Fehler gewesen. Einer, den er schon öfter gemacht hatte und zweifellos wieder machen würde. Schon bei anderen Gelegenheiten war er mit Frauen wie Maud zusammengewesen. Frauen, die nichts von ihm forderten, was er nicht geben konnte. Die nur seinen Körper, seine Zeit, aber nie sein Herz wollten. Frauen, die sich irgendwie hinter einer Mauer befanden. Behütet. Angeschlagen.
Angeschlagen. Wie komisch, dachte er. Genauso hatte Maud ihn genannt.
Er lachte bitter. Er war jenseits davon. Er war gebrochen. In Scherben. Er war allein auf der Welt, ohne einen Menschen, der ihn wieder ganz machen konnte. Und das würde immer so bleiben.
61
N ichts, Peter? Gar nichts?« fragte Fiona und starrte ihren Börsenmakler an. »Das ist doch nicht möglich.«
»Das ist durchaus möglich«, sagte Peter Hurst und lehnte sich zurück. »Nur unüblich. Sie sind immer schwerer aufzutreiben, wie Sie wissen. Letzte Woche konnte ich nur zweitausend bekommen. Vor zwei Wochen fünfhundert. Diese Woche gar nichts mehr.«
»Warum?«
»Weil niemand verkauft! Alle, die verkaufen wollten, haben verkauft – an Sie. Ihretwegen wird die Aktie von Burton Tea kaum mehr angeboten.«
Fiona, die in ihrem Büro auf und ab ging, während Peter sprach, blieb vor den Fenstern, die zum Fluß hinausgingen, stehen. Aus dem grauen regnerischen Himmel fiel fahles Licht auf sie. Sie blickte auf den breiten Fluß unter ihr hinab, sah aber nicht den Hudson. Sie sah einen anderen Fluß. Einen anderen Kai. Sie sah grauen Nebel und eine dunkle Gestalt, die dort wartete. Auf sie. Schnell schloß sie die Augen, um den Zorn und den Schmerz zu vertreiben, die das Wahngebilde in ihr auslösten. Und dennoch.
Während der letzten zehn Jahre hatte sie sich einmal pro Woche mit Peter getroffen, um Aktien von Burton Tea zu kaufen. Anfangs, als das Papier zwischen fünfzehn und zwanzig Dollar stand, hatte sie sich bemüht, wenigstens kleine Mengen zu erwerben – zehn Aktien die eine, zwanzig die nächste Woche. Als ihr Vermögen wuchs, hatte sie weiterhin verbissen versucht, ihren Aktienanteil zu vergrößern. Aufgrund der Schwierigkeiten der Firma in Indien und Amerika war die Aktie inzwischen für fünf Dollar das Stück zu haben. Aber nicht der Preis war Fionas Problem, sondern jemand zu finden, der verkaufte.
Im Moment kontrollierte sie zweiundzwanzig Prozent von Burton Tea unter verschiedenen Decknamen, die dank der Schläue ihres Anwalts Teddy Sissons nicht mit ihr in Verbindung gebracht werden konnten.
Ihr Anteil an Burton Tea war groß, aber nicht ausreichend. Sie würde nicht aufhören, Aktien zu kaufen, bis sie einundfünfzig Prozent – und die Firma hatte. Im Lauf von zehn Jahren war ihr Haß auf William Burton nicht geringer geworden, und
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