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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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schrie vor Schmerz, so daß er sie wieder ablegen mußte. »Ich weiß, Janey, es tut weh, aber halt durch …«
    Janey schüttelte den Kopf. Sie hob die Hand, und Roddy ergriff sie. Sie drückte sie zu Boden.
    »Wir müssen gehen, Janey, aber ich hol dich.«
    Janey schloß die Augen. Mit letzter Kraft hob sie Roddys Hand und drückte sie erneut herunter. Als er hinabsah, sah er schließlich, daß ihr blutverschmierter Finger auf etwas zeigte: Sie hatte den Buchstaben S auf den Boden geschrieben. Mit Blut. Ihrem eigenen Blut.
    »Sheehan«, sagte er.
    »Oder Sid«, erwiderte McPherson.
    »Wer war’s, Janey? Sheehan oder Sid Malone?« fragte Roddy drängend. Er wußte, daß sie nicht mehr lange durchhielt. Sie schluckte wieder, und ihre Brust hob und senkte sich heftig. »Warte«, sagte er eindringlich und drückte ihre Hand. »Ich hol dich hier raus.« Aber noch während er sprach, spürte er, wie das Leben aus ihr wich. Sie war tot. Fluchend schüttelte Roddy den Kopf und ließ ihre Hand los. Das Blut aus ihren Wunden floß über die Dielenbretter und löschte das S aus. »Was glauben Sie?« fragte er und sah McPherson an.
    »Sheehan, wenn sich Quinn gegen ihn gestellt hat. Malone, wenn nicht.«
    »Das ist eine große Hilfe. Genauso wie unsere tote Zeugin hier und der Beweis, der gerade ausgelöscht wurde, sowie die Tatsache, daß vermutlich an die fünfzig Leute unten waren, als der Täter reinkam, von denen sich keiner melden wird. Zwei Menschen wurden ermordet, und wir haben nichts, worauf wir uns stützen könnten. Rein gar nichts.«
    »Damit haben Sie recht, Sergeant. Aber mit dem, was Sie vorher gesagt haben, nicht.«
    »Womit denn?«
    »Daß sich in Ostlondon was zusammenbraut. Der Krieg ist schon in vollem Gang.«

   70   
    N eville Pearson, ein redseliger, rundlicher Mann von etwa sechzig Jahren, duckte sich unter einer Leiter hindurch, stieg über einen Farbkübel und reichte Fiona die Hand. »Mrs. Soames, nicht wahr?« sagte er und schüttelte sie heftig. »Freut mich. Teddy hat mir geschrieben, mir alles über Sie erzählt.«
    Er trug einen braunen Anzug, der vor zwanzig Jahren vielleicht modern gewesen sein mochte, und eine gelbe Reitweste mit Teeflekken und Brotkrümeln darauf. Er war kahl, abgesehen von ein paar weißen Haarbüscheln an beiden Seiten des Kopfs, und hatte die blühende Gesichtsfarbe eines Mannes, der Essen und Trinken genoß. Mit Teddy oder den anderen New Yorker Anwälten, die Fiona kannte, hatte er nichts gemein, weder deren modische Anzüge und Frisuren noch die manikürten Hände und teuren Schuhe. Mit seiner abgeschabten Aktentasche und der tief auf der Nase sitzenden Brille sah Pearson eher wie ein zerstreuter Professor aus und nicht wie Londons angesehenster Jurist für Privatrecht und Kronanwalt.
    »Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Mr. Pearson.«
    »Hm. Nun, dann …«, sagte er und sah sich um, »… vielleicht suchen wir uns ein ruhigeres Eckchen? Ich hätte Sie gern in meine Räume geführt, aber da sind gerade die Bauleute zu Gange. Tut mir furchtbar leid. Wir renovieren. Die Idee eines jüngeren Teilhabers. Er findet, daß hier alles alt und vorsintflutlich aussieht. Möchte dem Ort ein modernes Gepräge geben. Geldverschwendung und schrecklich lästig, meiner Meinung nach. Edwards!«
    »Ja, Mr. Pearson«, antwortete ein junger Mann hinter dem Empfangstisch.
    »Ich brauche ein Büro.«
    »Ich glaube, Mr. Lazenbys ist frei, Sir.«
    »Gut. Folgen Sie mir, Mrs. Soames, und achten Sie auf IhreRöcke.«
    Er führte sie vom Empfang durch einen langen Gang und erklärte ihr alles über das ehrwürdige Gray’s Inn – eine der vier ehemaligen Gerichtsstätten der Stadt –: daß Teile davon im vierzehnten Jahrhundert erbaut und unter den Tudors vergrößert wurden und daß alles bis zum heutigen Tag Bestand gehabt hatte, auch ohne die Hilfe ahnungsloser Renovierer.
    Fiona lächelte, als sie ihm folgte, und genoß den Klang seiner Stimme. Sie hatte die melodische englische Aussprache vermißt. Die New Yorker nuschelten ihre Worte achtlos dahin und redeten genauso hastig, wie sie alles voller Hast machten. Die Londoner genossen ihre Sprache, jeder einzelne von ihnen. Angefangen vom Portier in ihrem Hotel mit der sonoren Stimme, der klare Konsonanten und schöne Vokale bildete, bis hin zu dem Taxifahrer, der sie hergebracht hatte – einem Mann aus Lambeth, der genüßlich die Laute zu kauen schien, als hätte er ein köstliches Stück Beefsteak im Mund.
    Seit ihrer

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