Seelenmoerder
Prolog
Die Kälte weckte sie. Schneidend durchdrang sie ihre Knochen und glitt an ihren bereits zum Zerreißen gespannten Nerven entlang. Mit schweren Lidern kämpfte sie gegen die Bewusstlosigkeit an, obwohl es verlockend gewesen wäre, sich erneut in den Kokon der Taubheit fallen zu lassen. Vielleicht hätte sie der Versuchung sogar nachgegeben, wenn ihr erschöpfter Verstand nicht endlich registriert hätte, was ihre Sinne ihr regelrecht zubrüllten.
Sie war im Wasser.
Auf allen Seiten von Wasser umgeben.
Komplett darin eingetaucht.
Panik durchzuckte sie, und sie versuchte sich aufzurichten, ehe sie mit solcher Wucht gegen die Oberseite des Käfigs stieß, dass sie sich vor Schmerz krümmte. Hinter ihren geschlossenen Lidern tanzten Sterne.
Schlagartig schoss ihr salziges Wasser in die Nase, brannte in ihren Augen und bahnte sich einen Weg zur Lunge. Stockend begann sie zu husten, doch sie konnte den Mund nicht öffnen. Während ihr das Wasser um Hals und Schultern schwappte, kam sie mit letzter Kraft auf die Knie und rang um einen klaren Gedanken.
Als sie begriff, setzte das Grauen ein.
Sie war lebendig im Wasser begraben. Kalt. Tief. Erstickend. Und stockfinster. Zaghaft bewegte sie den Kopf, ohne eine Augenbinde zu spüren. Dann versuchte sie zu schreien, brachte jedoch nichts als ein ersticktes Stöhnen heraus.
Sie war gefesselt. Und geknebelt. Das Salzwasser brannte wie Feuer in ihren Schnittwunden. Unsichtbare Meerestiere zerrten mit ihren winzigen Zähnen und Zangen an ihrem geschundenen Fleisch.
Ein Schrei hallte wieder und wieder durch ihren Kopf, während sie sich verzweifelt gegen die Wände ihres Gefängnisses warf. Das Kreischen von Metall ertönte, und der Käfig sackte nach unten und tauchte sie tiefer ins Wasser. Jede Welle, jede Kräuselung ließ ihr Wasser in die Nase schießen und zwang sie zu verzweifelten Ausweichmanövern. Sie unterdrückte ein Schluchzen, kam mühsam in die Hocke und presste das Gesicht gegen die Oberseite des Käfigs, wo sie gierig die salzige Luft einsog. Ihre erschöpften Muskeln begannen sich zu verkrampfen, doch sie wagte nicht, sich zu bewegen. Ihr ganzes Denken konzentrierte sich einzig und allein aufs nackte Überleben, und selbst das erschien ihr immer unwahrscheinlicher.
Für Barbara Billings hatte der Alptraum gerade erst begonnen.
1. Kapitel
Der Sommer hatte Savannah in den Würgegriff genommen und drückte der Stadt langsam die Luft ab. Die meisten schimpften über die Hitze und verfluchten die Luftfeuchtigkeit, doch in Rynes Augen war das Wetter nicht allein für das erstickende Leichentuch verantwortlich. Das Böse hatte sich über die Stadt gelegt wie eine klebrige, verschwitzte Decke und streckte nun seine heimtückischen Fangarme aus wie ein Krebsgeschwür, das sich in einem ahnungslosen Körper ausbreitet.
Doch die Menschen würden nicht mehr lange ahnungslos bleiben. Mit dem jüngsten Opfer würde sich alles ändern, und dann wäre schlagartig der Teufel los.
Verglichen mit Savannah musste die Hölle ein behagliches Plätzchen sein.
Nach und nach betraten die Mitglieder der Sonderkommission den Besprechungsraum, die meisten mit einem dampfenden Kaffeebecher in der Hand, was die Hitze nur noch brutaler machte. Ryne verkniff sich eine entsprechende Bemerkung. Wie käme ausgerechnet er dazu, andere über ihr Suchtverhalten zu belehren?
Das Stimmengewirr war noch nicht ganz verklungen, als er den Beamer einschaltete. »Es gibt ein weiteres Opfer.«
Eine Nahaufnahme erschien auf der Leinwand. »Mein Gott«, stieß einer der Detectives hervor. Nachdem er die letzten zwei Stunden mit den Aufnahmen verbracht hatte, konnte Ryne seine Reaktion verstehen.
»Barbara Billings. Vierunddreißig Jahre alt. Geschieden. Lebt allein. Vor zwei Tagen ist sie in ihrem Haus vergewaltigt worden, nachdem sie von der Arbeit gekommen war.« Er klickte die nächste Bilderserie an, auf der ihre Verletzungen in allen Einzelheiten zu sehen waren. »Er war in ihrem Haus, aber wir wissen noch nicht, ob er sich dort versteckt gehalten hat oder erst eingedrungen ist, als sie schon da war. Sie ist um sechs nach Hause gekommen und hat gesagt, er hätte sie sich kurz danach geschnappt. An die Einzelheiten kann sie sich nur vage erinnern, doch der Übergriff hat stundenlang gedauert.«
»Wo hat er sie denn abgelegt, in einem Abwasserkanal?« Selbst McElroy klang ein wenig mitgenommen. In Anbetracht dessen, dass in seinem muskelbepackten Körper ein ungewöhnlich taktloses
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