Die Teerose
Er war so lieb zu ihr gewesen, aber warum reagierte sie dennoch gereizt und abweisend?
»Es ist nichts«, log sie und zwang sich zu einem Lächeln, entschlossen, ihren düsteren Gedanken nicht nachzugeben und den ersten Nachmittag zu verderben, den sie seit Ewigkeiten gemeinsam verbrachten.
»Ich erzähl zuviel von meiner Arbeit. Wahrscheinlich langweile ich dich. Tut mir leid, Fee.« Er legte seinen Arm um sie, zog sie an sich und küßte sie.
In seinen Armen verschwanden ihre Ängste. Sie hatte das Gefühl, alles sei wieder wie früher. Nur sie beide … die sich liebten, sich gegenseitig gehörten, ohne Gedanken an Peterson’s. Ohne Sorgen um ihre Mutter, ihr enges Zuhause und ihre Geldnot.
»Ich wünschte, wie hätten mehr Zeit füreinander, Fee. Es ist schrecklich, dich nie zu sehen.«
»Na, wenigstens bist du jetzt da«, sagte sie fröhlich. »Und zu Guy Fawkes kommst du auch. Das ist nicht mehr lang hin – bloß noch vierzehn Tage.« Sie freute sich wahnsinnig auf den Feiertag und wurde ganz aufgeregt, wenn sie bloß davon redete. »Wir gehen alle zum Freudenfeuer in die Montague Street zurück. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, an Guy Fawkes nicht dort zu sein.« Sie drückte seine Hand. »Kriegst du den ganzen Tag frei oder bloß den Abend?«
Er wandte sich ab.
»Joe?«
»Ich werd nicht kommen können, Fiona.«
»Nicht kommen?« rief sie enttäuscht aus. »Aber warum nicht? Du willst mir doch nicht sagen, daß dich Peterson am Abend von Guy Fawkes arbeiten läßt!«
»Nein, nicht wirklich. Tommy macht ein großes Fest, und ich muß hin.«
»Warum? Kannst du nicht einfach nein, danke sagen und heimkommen?«
»Nein, das kann ich nicht. Es ist eine große Party für alle Angestellten. Es ist der Abend, an dem Tommy den Bonus ausgibt und die Beförderungen verkündet. Es wär ein Schlag ins Gesicht, wenn ich nicht hingehen würde, Fiona. Bitte sei nicht böse, ich kann’s nicht ändern.«
Aber sie war böse, sie konnte nicht anders. Zudem traurig und enttäuscht. Der Abend von Guy Fawkes war ein großes Ereignis in der Montague Street, schon immer gewesen. Alle Kinder bastelten ihre Puppen, alle Nachbarn kamen heraus, um das Freudenfeuer anzusehen und die Knallfrösche loszulassen. Verliebte Paare hielten im Feuerschein Händchen, und sie hatte gehofft, mit Joe dasselbe zu tun. Es war etwas, worauf sie sich gefreut hatte, ein bißchen Spaß, an den man sich klammern konnte, und jetzt hatte sie wieder nichts.
»Wird Millie dort sein?«
»Ich glaub schon. Es findet in ihrem Haus statt.«
Sie schwieg einen Moment und fragte dann: »Bist du verknallt in sie?«
»Was?«
»Bist du’s?«
»Nein! Zum Teufel, Fiona. Fängst du schon wieder damit an?«
»Tut mir leid, ich hab mich getäuscht«, sagte sie eisig. »Tommy ist derjenige, in den du verliebt bist, nicht in Millie, stimmt’s? So ist es. Mit ihm verbringst du schließlich deine ganze Zeit.«
Joe explodierte. »Was soll ich deiner Meinung nach denn tun, Fiona?« brüllte er. »Soll ich kündigen?« Er ließ ihr keine Zeit zu antworten. »Das hab ich mir überlegt, weil ich wieder bei dir sein wollte. Aber ich hab’s nicht getan, weil ich das Richtige für uns beide tun will. Ich will die Beförderung kriegen, damit ich mehr Geld verdienen kann. Damit wir unseren Laden aufmachen können. Damit ich für dich sorgen kann.«
»Ich hab dich nicht gebeten, für mich zu sorgen«, schrie sie ihn an. »Ich bitte dich bloß, ab und zu hierzusein …« Sie spürte, wie ihre Mundwinkel zu zittern begannen. Sie würde nicht weinen, zum Teufel, dazu war sie zu wütend. »Ich hab’s nicht leicht gehabt nach dem Tod von meinem Vater und allem. Wenn du bloß manchmal hier wärst … bloß zum Reden.«
»Fee, du weißt, daß ich bei dir wär, wenn ich könnte. Das weißt du. Es wird nicht immer so sein. Hab nur noch ein bißchen Geduld. Ich komm mir blöd vor, aber ich kann’s nicht ändern. Ich kann nicht auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen. Flöß mir doch nicht noch mehr Schuldgefühle ein, als ich ohnehin schon hab.«
Fiona wollte ihm gerade widersprechen, aber seine Worte brachten sie zum Schweigen. Schuldgefühle. Sie machte ihm Schuldgefühle. Sie spürte einen Stich im Magen und war beschämt. Sie schloß die Augen und sah ihn gemeinsam mit Harry und Millie. Sie schlenderten unbeschwert lachend herum, redeten über Tommy, machten Scherze, sahen im Vorbeigehen in die hell erleuchteten Schaufenster, gingen Tee trinken. Warum um alles
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