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Grayday

Grayday

Titel: Grayday Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hari Kunzru
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E s war eine einfache Mitteilung.
    Hi. Ich sah das und dachte an dich.
    Vielleicht hattest du eine Mail in deinem Posteingang, zugeschickt von einem Absender, den du nicht erkanntest, harmlose zwei Zeilen mit einem Anhang.
    leela.exe
    Vielleicht gehorchtest du der Anweisung:
    probiers mal aus!
    Und da war sie: Leela Zahir, die in einem Popup-Fenster auf deinem Bildschirm in ruckartigen schnellen Schritten herumtanzte. Selbst bei dieser Größe konntest du sehen, dass sie schön war, diese kleine pixelige Tänzerin mit ihrem strahlenden einundzwanzigjährigen Lächeln: das hatte sie, versprach der Begleittext,
    nur für dich
    Dieses Lächeln. Der Anfang all deiner Probleme.
    Es war ja nicht so, dass du Leela darum gebeten hättest, herzukommen und dir das Herz zu brechen. Du warst nur gerade mit all dem beschäftigt, was du immer online erledigst – Formulare ausfüllen, Pornos runterladen, chatten –, als sie plötzlich dahergezappelt kam und alles in Scherben ging. Einen Moment lang kamst du dir bei aller Panik wahrscheinlich als jemand ganz Besonderes vor. Das war Leelas Talent. Jedermann glauben zu lassen, alles wäre nur für dich.
    Aber es gab noch andere. Wie viele hat sie infiziert? Tausende? Zig-, Hunderttausende? Unmöglich, sie zu zählen. Experten haben den Schaden, den sie vorwiegend in Form menschlicher und maschineller Ausfallzeiten in der Weltwirtschaft angerichtet hat, auf fast fünfzig Milliarden US-Dollar geschätzt, aber finanzielle Überlegungen werden dem Chaos jener Tage nicht gerecht. Während Leelas kurzer Missherrschaft war jede Normalität aufgehoben. Reihenweise kauten untätige Broker vor eingefrorenen Bildschirmen an ihren Nägeln. Schaltnetze verglommen wie erloschene Sterne vor ihnen. Ein paar Wochen lang tanzte sie rund um die Welt, und Katastrophen folgten jedem Schritt, wie bei einem elefantösen Vorstädter vor einem Fitnessvideo.
    Natürlich wurde sie durch das alles berühmt, berühmter, als es selbst ihre Mutter in den wildesten Träumen erhofft hatte. Leela war bereits ein kommender Star, Indiens neues Dreamgirl, das das schlüpfrige Ungarn der Mumbai-Filmwelt erklomm wie das Kind beim Seiltrick des Zauberers. Doch Leelas Mutter hatte zwar die meisten Eventualitäten vorausbedacht, dabei aber nicht den Fortschritt der Technik als Faktor des Karriereplans ihrer Tochter berücksichtigt. Mrs. Zahir war ganz entschieden kein technisch denkender Mensch.
    Und so kam sich Leela schließlich verhext vor, als das Mädchen mit den roten Schuhen, das zum Weitertanzen verdammt war, bis die Füße bluteten oder der Bildschirm zu schmutzigen ASCII-Text-Blüten erstarrte. Doch trotz allem, was ihre Mutter sich gedacht haben mochte, war Leelas Wirkung nur oberflächlich. Die wahre Aktion fand in den Eingeweiden des Codes statt: als eine Kaskade von Rechenoperationen, von Iterationen und Löschungen, eine unsichtbare Infektion durch Einsen und Nullen. Leela machte auf holi, und der an ihrem Körper klebende Sari lenkte die Aufmerksamkeit von der Maschinerie ab, die unter ihrer Haut am Rotieren war.
    Eine Verkettung von Ursache und Wirkung? In Leelas Sommer lagen die Dinge nicht so einfach. Es war eine Zeit topologischer Seltsamkeiten, von Schleifen und Knoten, endlosen Aktionsbändern und von innen nach außen gestülpten Reaktionszylindern, die so total durcheinander war, dass es fast unmöglich ist, einen Ausgangspunkt festzustellen.
    Morgenlicht sickert durch Jalousien.
    Ein Kinopublikum sieht eine Träne über ein riesiges Gesicht rinnen.
    Ein Wecker piept. Stöhnen und langsame Entknotung von Gliedmaßen.
    Sie schaltet ihren Computer aus.
    Sie sitzen zusammen in einem Taxi.
    Es wird sich gekrümmt, nach unten gebeugt.
    Sie dreht ihren Stuhl zum Fenster herum und
    jemand im Parkett macht laute Kussgeräusche
    schlechte Haltung
    Zwischen den beiden ein Spalt von fünf Zentimetern
    sie beißt noch einmal von ihrem Sandwich ab.
    Gelächter
    die Haltung eines jungen Mannes, der vor einem Büroturm in New Delhi steht.
    Ein willkürlicher Sprung ins System.
    Mit rundem Rücken bleibt er einen Augenblick stehen und steckt einen Finger in den Kragen seines neuen Polycottonhemds. Der Kragen ist zu eng.

D er Connaught Place um ihn herum brodelte vor Leben. Büroangestellte, ausländische Rucksacktouristen, Boten und Damen auf dem Weg zum Mittagessen rempelten sich an Bettlern vorbei, bahnten sich im Zickzack den Weg durch den Verkehr und flitzten beim Palika Bazaar rein und raus wie Teilnehmer

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