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Die Teerose

Die Teerose

Titel: Die Teerose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Donnelly
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für ein paar Minuten, um mit Harry auf einem Balkon ein Glas zu leeren. Harry sagte ihm, daß er in einer Woche abreisen würde. Er versuchte, sich für seinen Freund zu freuen, wußte aber, daß er ihn vermissen würde. Und er beneidete ihn.
    Schließlich war es an der Zeit zu gehen. Unter anzüglichen Scherzen und lärmigem Gelächter wurden Joe und Millie in die prächtige Suite geführt, die Tommy für sie gemietet hatte. Dort sollten sie die Nacht verbringen, bevor sie am nächsten Morgen zu zweimonatigen Flitterwochen nach Paris abreisten. Millie wollte für drei Monate fort, aber Tommy sagte, er brauche Joe im Geschäft, und Joe stimmte ihm bereitwillig zu. Er hatte keine Ahnung, wie er die zwei Monate mit Millie überstehen sollte, zwei Stunden erschienen ihm schon unerträglich.
    Sobald sie in der Suite waren, verschwand sie, um sich umzuziehen. Joe warf sein Jackett ab, löste die Krawatte und schenkte sich ein Glas Whiskey ein. Durch die Fenstertüren trat er auf den Balkon hinaus und sah über London hinweg, nach Osten. Wo sie war.
    In einem zarten Negligé kam Millie zurück. »Komm ins Bett«, flüsterte sie und legte die Arme um ihn.
    Er erstarrte. »Ich find’s schön hier draußen.«
    »Stimmt was nicht?« fragte sie und suchte seinen Blick.
    »Nein. Ich bin nur müde. Es war ein langer Tag.«
    »Ich kann dich aufmuntern«, erwiderte sie und drückte sich an ihn.
    Joe schloß die Augen, damit sie die Verachtung darin nicht sah. »Ich brauch ein bißchen Luft, Millie. Warum gehst du nicht rein und legst dich hin? Du mußt doch auch müde sein. Ich komm gleich nach.«
    »Versprochen?«
    »Ja.«
    Die erste Nacht in einem Leben voller Lügen. Mein Gott, wie sollte er das durchhalten? Was würde er sagen, wenn die Ausrede, daß er Luft brauche, nicht mehr zog? Daß er ihren Anblick nicht ertrug? Daß ihre Stimme, ihr Lächeln, einfach alles an ihr, ihn krank machte? Daß er sie nicht liebte und nie lieben würde? Er sah in sein Glas, aber auch darin war keine Antwort zu finden. Er sagte sich, daß es seine Schuld war, daß sie ein Kind bekam. Bald würde sie die Mutter seines Kindes sein, er durfte nicht grausam zu ihr sein. Wenn er doch alles ungeschehen machen könnte, wenn er die Zeit doch einfach zu dieser Nacht zurückdrehen und sich aus ihrem Zimmer stehlen könnte, bevor etwas geschah.
    Dies hätte die Hochzeitsnacht mit Fiona sein sollen. Seine Seele schrie förmlich nach ihr. Die Heirat, die Tatsache, daß Millie jetzt seine Frau war, änderte nichts daran. In seinem Herzen gehörte Fiona noch immer zu ihm und er zu ihr, auch wenn er nie mehr in das Gesicht sehen würde, das er liebte. Nie mehr sehen würde, wie ihre Augen aufleuchteten, nie mehr ihre aufgeregte Stimme hören würde, sie nie mehr berühren, sie nie mehr voller Leidenschaft lieben würde. Was würde aus ihr werden? Er kannte die Antwort. Mit der Zeit würde sie über ihn hinwegkommen und einen anderen Mann finden. Und der würde dann ihr Lächeln sehen, seine Tage mit ihr teilen, im Dunkeln nach ihr tasten. Bei dem Gedanken wurde ihm übel.
    Er mußte hier raus, fort aus diesem Zimmer, fort von Millie. Das Hotel hatte eine Bar. Er würde sich heute nacht sinnlos betrinken und ebenso jede weitere Nacht seiner verdammten Flitterwochen. Bald wäre sie zu dick, um noch nach ihm zu verlangen. Und wenn das Baby da wäre, würden ihm andere Ausreden einfallen. Er würde für Tommy unterwegs sein und vierundzwanzig Stunden am Tag arbeiten. Er wußte, daß er sie nie mehr berühren konnte. Er ging nach drinnen und schloß die Balkontür. Dann griff er nach seiner Jacke, rückte die Krawatte zurecht und steckte den Zimmerschlüssel ein.
    »Joe?« hörte er sie schlaftrunken aus dem Schlafzimmer rufen. Als Antwort ließ er nur die Tür zuknallen.
     
    Eileens Atemzüge klangen mühsam und rasselnd. Kate hörte genau hin und wartete auf den Moment, da sie in einen Hustenanfall übergingen, aber das geschah nicht. Vielleicht schläft das arme kleine Ding doch durch, hoffte sie. Jetzt war es zehn Uhr, und wenn Eileen noch eine halbe Stunde ruhig blieb, würde sie sich auch hinlegen. Sie saß in ihrem Schaukelstuhl, trank immer wieder einen Schluck Tee und behielt das Baby im Auge. Die letzten paar Monate war es ihr nicht gutgegangen. Sie hatte dunkle Ringe unter den Augen, und in ihrem Gesicht hatten sich Falten eingegraben. Wochenlang hatten sie die Sorgen um die kleine Tochter zermartert, und jetzt kamen weitere Sorgen hinzu. Sie sah zum

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