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Die Teilung des Paradieses

Die Teilung des Paradieses

Titel: Die Teilung des Paradieses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Heidenreich
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auf der Holzbrüstung mit. Kein Problem. Hört niemand. Meine dick vermummten Hände erzeugen etwa den Laut, den eine Faustschlag in ein Kissen auslösen würde. Pfff, Pfff, Pfff....Macht es im Takt auf dem Holz. Und dazu wiege ich den Oberkörper vor und zurück und tänzle auf der Stelle wie ein junges Pony. Um mich herum Dunkelheit und Musik.
    Durch das Klopfen und Tanzen verrutscht meine Ausrüstung am Koppel und ich versuche mit meinen klammen Fingern den Stahlhelm zu richten, der unterhalb des Bauches hängt und bei jedem Schritt gegen meine Oberschenkel schlägt. Links, rechts, links, rechts...Quer umgehängt habe ich noch eine Tasche in der die Schutzmaske mit Schlauch und Filter steckt und auch – verbotenerweise – was zu essen. Über der linken Schulter die Kalaschnikow, rechts das Seitengewehr und die Magazintasche mit zwei Reservemagazinen. Selbst falls ich mal in die Verlegenheit geraten sollte meine Maschinenpistole zu benutzen, mit der Menge an Munition könnte ich die halbe Kleinstadt ausradieren in der ich hier gelandet bin. Und ich hätte manchmal nicht übel Lust dazu. Am Ende der Welt ist diese gottverdammte Stadt und wir sind noch mal ein paar Kilometer außerhalb. Eine kalte, trostlose Kaserne am Ende der Welt.
    Die Maschinenpistole rutsch mir von den wattierten Schultern und fluchend stell ich sie in die Ecke des Holzturmes, um meine Sachen zu ordnen. Ich habe zwei Uniformen übereinander an. Die oberste ist wattiert, die darunter aus Filz. Und natürlich lange Unterwäsche, Pullover und zwei paar Wollstrümpfe unter den Filzstiefeln.  Kopfschutz aus Wollstoff, Pelzmütze, natürlich keine echte, sondern Webpelz. Schal vor dem Gesicht und zwei Paar Handschuhe übereinandergezogen vervollkommnen meinen Aufzug. Bei Tageslicht wäre ich mit Sicherheit und großem Abstand das lächerlichste Abbild eines Soldaten, das die Welt gesehen hat. Bewaffnet bis an die Zähne, aber fast bewegungsunfähig durch die Ansammlung übereinandergezogener Kleidungsstücke. Aber es hilft so halbwegs gegen die schneidende Kälte und es ist Nacht. Und in dieser gottverlassenen Gegend sieht mich sowieso niemand, der mich von früher kennen könnte. Ich fühl mich wie ein Schneemann, behängt mit lauter klapperndem und für mich nutzlosem Zeug.
    ,Der deutsche Soldat fällt nicht, er schleppt sich tot.’ So heißt es im Armee- Jargon. Mir ist schon die letzten Wochen aufgefallen, dass nicht nur hinter vorgehaltener Hand, und keineswegs ausschließlich unter den einfachen Soldaten, eine gewisse „Landsermentalität“ herrscht. Sprüche und Ausdrücke wie ich sie aus Büchern über den zweiten Weltkrieg kenne, werden hier gepflegt und gebraucht, als wäre das völlig normal. Vielleicht ist es das auch, aber in einer Armee, die sich „Volksarmee“ nennt und sich den Traditionen der sozialistischen Arbeiterklasse verpflichtet fühlt, wirkt das reichlich anachronistisch.
    Noch eine knappe dreiviertel Stunde bis zur Ablösung. Durch die blöde Knarre und das Sortieren meiner Ausrüstung bin ich ganz aus meiner Session rausgekommen. Ich überlege, ob ich „The Logical Song“ noch mal „hören“ sollte, aber das Ende des Titels - und ich höre alle Titel bis ganz zu Ende – bringt mich automatisch zum nächsten. Goodbye Stranger.
    „ It was an early morning yesterday, I was up before the dawn
And I really have enjoyed my stay but I must be moving on.“
    Ich summe leise mit und lasse meine Gedanken schweifen. Dahin, wo ich in der Ferne vereinzelt Lichter sehen kann. Wo Menschen sind. Die in ihren weichen, warmen Betten schlafen. Bequeme Pyjamas anhaben. Die warme Füße haben. Die jederzeit aufstehen und sich einen warmen Tee machen können. Oder eine Badewanne mit heißem Wasser vollaufen lassen können...Das wär’s jetzt.
    Mann, reiß dich zusammen, schnauze ich mich im Stillen selbst an. Beinahe wären mir die Augen zugefallen bei all den wehleidigen Gedanken.
    Meine müden Blicke schweifen über die milchige, dunkle Landschaft. Ich habe den mit Abstand abgelegensten und todsicher langweiligsten Abschnitt erwischt. Hier ist nichts, außer trockenem Gras und niedrigen Büschen. Mein Postenturm steht genau auf einer Ecke eines gedachten Dreiecks. Halblinks führt ein Doppelzaun schnurgerade in die Finsternis und halbrechts das gleiche. Oben auf dem Zaun ist Stacheldraht.
    Ich gähne, schaue wieder kurz auf die Uhr, noch vierzig Minuten. Die Zeit vergeht gerade überhaupt nicht. Trotz der Musik. Verfluchte

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