Die Tiefe einer Seele
schlimmer aus, als es ist«, beruhigte sie ihn.
Sanft strich er mit seinen Daumen über ihre Knöchel. »Mach so etwas nie wieder, Amy!«, murmelte er. »Ich bin heute Nacht tausend Tode gestorben.«
»Womit wir wieder beim Thema wären«, erwiderte sie ernst. »Du hast gesagt, dass Du mich schützen wolltest, aber war es nicht eher so, dass Du Dich selbst schützen wolltest? Davor, dass das Schicksal Dir wohlmöglich ein weiteres Mal übel mitspielen könnte? Darum hast Du mir das mit Elias nicht gesagt, nicht wahr?«
»Kannst Du mir das verdenken, Amy? Verdammt noch mal, ich liebe Dich! Dich zu verlieren, das würde mich…….« Seine Stimme versagte.
»Ja, ich weiß. Trotzdem darfst Du mich nicht von allem abschotten. Ich will kein Leben in einem Glashaus oder in einem goldenen Käfig, sondern ein ganz normales, mit Höhen und Tiefen. Verstehst Du das?«
»Ja! Und ich weiß, dass ich Dich sofort hätte einweihen müssen. Deine Eltern sind auch dieser Ansicht gewesen, aber ich habe ihnen widersprochen, weil, ….also weil…..ich in der Nacht zuvor etwas geträumt habe, …..und ich fürchtete, was in diesem Traum passiert ist, könnte…«
Amelie griff nach seinen Händen. »Mein Gott, James, was hast Du denn geträumt?«
Mit knappen Sätzen schilderte er, was ihn in der Nacht vor der Reise nach Washington heimgesucht hatte und schockierte Amelie damit bis aufs Blut. Stürmisch schlang sie ihre Arme um ihn. »Oh James, es tut mir so leid, dass Du wegen mir so viel durchmachen musst«, schluchzte sie laut. »Glaub mir, ich werde alles dafür tun, dass Du nie wieder Angst um mich haben musst.«
James erwiderte ihre innige Umarmung und er spürte, wie ernst sie das meinte, was sie gesagt hatte.
»Hast Du zuhause angerufen?«, fragte er nach einigen Minuten, in denen sie sich nur gehalten hatten.
»Ja, habe ich. Elias geht es schon wieder recht gut. Sein linker Arm ist noch nicht voll funktionstüchtig, aber meine Eltern sind zuversichtlich, dass das wieder wird. Verrückte Welt, oder? Ein Neunzehnjähriger, der einen Schlaganfall bekommt. Zum Glück haben sie ihn sofort gefunden, bei so etwas zählt ja jede Minute. Meine Mutter und meinen Vater habe ich übrigens auch auf den Pott gesetzt. Geht ja gar nicht, dass sie Dich und nicht mich anrufen, wenn es um meinen Bruder geht. Ich hoffe, sie haben es begriffen.«
»Du hast was? Sie auf den Pott gesetzt?« Man sah Gesicht von James an, dass er sich da gerade etwas bildlich vorstellte, was ihn zunehmend irritierte.
Amelie lachte laut auf. »Du meine Güte, Prescott! Vielleicht ist es besser, wenn wir für unsere Familie die ‚Amtssprache‘ Englisch wählen würden, was meinst Du?«
»Für unsere Familie?«, wiederholte er atemlos.
»Für unsere Familie!«, bestätigte Amelie mit leuchtenden Augen und legte ihre Lippen auf seine.
»Übrigens, um die Aufarbeitung der letzten 24 Stunden fortzusetzen«, sagte sie, als sie sich wieder von ihm löste. »So bescheuert Deine Heimlichtuerei auch war, letztendlich hat sie mich doch um einiges vorangebracht.«
»Äääh, wie das denn?«
»Nun, ich habe wirklich geglaubt, dass Elias tot ist. Nicht eine Sekunde habe ich daran gezweifelt. Und es war furchtbar für mich. Ich habe ihn so unendlich lieb, gerade weil er in den letzten Jahren immer bedingungslos zu mir gehalten hat. Dass er mir genommen sein sollte, hat mein Herz bluten lassen. Ich fühlte mich schrecklich.«
»So schrecklich, dass Du Dir etwas antun wolltest?«
»Nein. Das ist es ja eben. Der Schmerz war kaum auszuhalten für mich, aber ich wusste, dass ich das packen würde. Dass er mich diesmal nicht besiegen könnte.«
»Und warum bist Du dann zu den Gleisen?«
»Weil ich mir selber etwas beweisen wollte. Nämlich, dass ich stark sein kann und weitermache, obwohl es so einfach sein würde, ein für alle Mal die Tür zu schließen. Zig Züge sausten an mir vorbei und mit jedem, dem ich widerstehen konnte, wuchs meine Überzeugung, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Endlich! Das hat mich total überwältigt, und dann wollte ich nur noch zu Dir.«
James ging das Herz auf, als sie sich erneut in seine Arme schmiegte. So kurz kannten sie sich erst, dennoch kam es ihm vor, als hätte sie bereits eine lange Reise gemeinsam hinter sich gebracht.
»Aber wenn das der richtige Weg ist,«, raunte er und strich ihr liebevoll über das Haar. »warum willst Du dann unbedingt in eine Therapie? So gerne würde ich Dich das Leben lehren. Wir könnten doch
Weitere Kostenlose Bücher