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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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tun.«
    Dann drehte er sich um und wandte sich einer großen Karte zu, die sie auf dem Eichentisch ausrollten. Nur Liam und Diarmid konnten erwarten, bleiben zu dürfen; sie waren jetzt Männer, und ihnen war erlaubt, die Strategien meines Vaters zu hören. Für den Rest von uns war es vorbei. Ich wich zurück aus dem Lichtkreis.
    Warum kann ich mich so gut daran erinnern? Vielleicht hat sein Missvergnügen mit dem, was aus uns geworden war, Vater dazu bewogen, die Wahl zu treffen, die er schließlich traf, und eine ganze Reihe von Ereignissen in Gang zu setzen, die schrecklicher waren, als jeder von uns sich hätte vorstellen können. Zweifellos benutzte er unser Wohlergehen als eine seiner Ausreden, um diese Frau nach Sevenwaters zu bringen. Dass darin keine Logik lag, war unwichtig – er muss im Herzen gewusst haben, dass Finbar und ich aus anderem Stoff gemacht waren, stark und bereit, an Geist und Körper wohl ausgeformt, wenn auch noch nicht ganz erwachsen, und dass die Erwartung, wir würden uns einem anderen Willen beugen, dem Versuch glich, die Gezeiten zu ändern oder den Wald am Wachsen zu hindern. Aber er war von Kräften beeinflusst, die er selbst nicht verstehen konnte. Meine Mutter hätte sie erkennen können. Ich habe mich später manchmal gefragt, wie viel sie von der Zukunft wusste. Der Blick zeigt einem nicht immer, was man sehen möchte, aber ich denke, als sie uns Lebewohl sagte, muss sie gewusst haben, welch seltsamen, gewundenen Wegen ihre Kinder folgen würden.
    Sobald Vater uns aus der Halle geschickt hatte, war Finbar weg – ein Schatten, der die Steintreppe zum Turm hinauf verschwand. Als ich mich umdrehte, um ihm zu folgen, zwinkerte Liam mir zu. Er mochte ein junger Krieger sein, aber er war auch mein Bruder. Und Diarmid grinste, aber dann schaute er wieder ausdruckslos drein, und als er sich Vater zuwandte, war auf seiner Miene nur noch Respekt zu lesen.
    Padraic war wahrscheinlich schon draußen; er hatte im Stall eine verletzte Eule, die er gesund pflegte. Es war verblüffend, sagte er, wie viel ihn das über die Prinzipien des Fluges gelehrt hatte. Conor arbeitete mit dem Schreiber meines Vaters zusammen an ein paar Berechnungen; wir würden ihn eine ganze Weile nicht oft zu sehen bekommen. Cormack übte wahrscheinlich Schwert- oder Stockkampf. Ich war allein, als ich mit meinen bloßen Füßen die Steintreppe in den Turmraum hinaufging. Von hier aus kann man noch weiter nach oben auf ein Schieferdach mit niedrigen Zinnen ringsumher, die vermutlich nicht genügt hätten, einen Sturz aufzuhalten, aber das hatte uns nie daran gehindert, nach dort oben zu gehen. Es war ein Ort für Geschichten, für Geheimnisse; ein Ort, an dem man gemeinsam schweigen konnte.
    Er saß, wie ich erwartet hatte, an der gefährlichsten, steilsten Stelle des Dachs, die Knie hochgezogen, die Arme um sie geschlungen, die Miene unergründlich, als er über die steinummauerten Weiden, die Scheunen und Bauernhäuser zum Rauchgrau und Samtgrün und nebligen Blau des Waldes hinausstarrte. Nicht so weit entfernt glitzerte das Wasser des Sees. Der Wind war recht kühl und zupfte an meinen Röcken, als ich die Schräge hinaufstieg und mich neben meinen Bruder setzte. Finbar regte sich nicht. Ich brauchte ihn nicht ansehen, um seine Stimmung zu erkennen, denn ich war auf den Geist dieses Bruders eingestimmt wie ein Bogen auf die Sehne.
    Wir schwiegen recht lange, während der Wind uns das Haar zerzauste und ein Schwarm Möwen über uns hinwegflog. Hin und wieder drangen Stimmen und das Klirren von Metall herauf: Vaters Männer, die im Hof übten, und Cormack war bei ihnen. Vater würde mit ihm zufrieden sein.
    Langsam kehrte Finbar aus den Weiten seines Geistes zurück. Er wickelte sich eine Haarsträhne um die schlanken Finger.
    »Was weißt du von dem Land hinter dem Wasser, Sorcha?« fragte er leise.
    »Nicht viel«, erwiderte ich verwirrt. »Liam sagt, die Karten zeigen nicht alles; es gibt Orte, von denen er nur wenig weiß. Und Vater sagt, man müsse die Briten fürchten.«
    »Er fürchtet, was er nicht versteht«, sagte Finbar. »Was ist mit Vater Brien und seinen Leuten? Sie kamen von Osten übers Meer und haben dabei großen Mut bewiesen. Mit der Zeit wurden sie hier anerkannt und haben uns viel gegeben. Vater versucht nicht, seine Feinde zu kennen oder zu verstehen, was sie wollen. Ihm geht es nur um die Bedrohung und die Beleidigung, und so verbringt er sein ganzes Leben damit, sie zu verfolgen, zu

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