Die Tochter der Wanderhure
den Zustand der Befestigungen beurteilen. Alles befand sich in bestem Zustand, und nichts wies mehr darauf hin, dass die Bewohner noch vor wenigen Monaten einer harten Belagerung hatten standhalten müssen. Kibitzstein wirkte so friedlich, als wäre seit Jahren nichts Außergewöhnliches geschehen. Statt bewaffneter Männer liefen biedere Knechte herum und sahen den Ankömmlingen ebenso freundlich wie neugierig entgegen. Auf einigen Gesichtern las er sogar Freude über seine Ankunft, und die jüngeren Töchter der Burgherrin, die auf den Altan hinausgetreten waren, winkten ihm jubelnd zu. Sie schienen nicht vergessen zu haben, dass er jene rettenden Botschaften überbracht hatte.
Die Person aber, wegen der er zurückgekehrt war, konnte er nirgends entdecken. Nun fragte Peter sich, ob es ein Fehler gewesen war, Kibitzstein sofort nach dem Abrücken der Würzburger zu verlassen. Wahrscheinlich hätte er damals schon mit Trudi und ihrer Mutter reden sollen. Doch darüber nachzudenken, war ebenso sinnlos, wie einem vergossenen Becher Wein nachzutrauern.
Marie trat aus dem Palas und ging den Gästen entgegen, um sie zu begrüßen. Sie wusste Eichenloh nicht recht einzuschätzen. In letzter Zeit hatte sie einiges über ihn erfahren, und nicht alles hatte ihr gefallen. Aber er war ein wertvoller Verbündeter, und schon deshalb durfte sie ihn nicht verärgern.
Sie schloss ihn zur Begrüßung in die Arme und küsste ihn auf die Wange, wie es einem hochgeehrten Gast zustand.
»Seid uns willkommen, edler Herr.« Da der König ihm den Titel eines Reichsfreiherrn verliehen hatte, stand er beinahe so hochim Rang wie ein Graf, und sie bemühte sich, ihn angemessen zu behandeln.
Peter blickte etwas bang auf Marie. An Höflichkeit ließ sie es wirklich nicht mangeln, doch ihre Augen musterten ihn für seinen Geschmack ein wenig kühl.
»Verzeiht, dass ich Euch so unvorbereitet überfalle«, begann er.
»Ihr seid hier immer ein gerngesehener Gast, denn wir alle wissen, wie viel wir Euch zu verdanken haben. Aber ich sehe Junker Hardwin nicht bei Euch. Hoffentlich ist ihm nichts passiert! Seine Mutter wäre untröstlich.«
… und Bona auch, setzte Marie insgeheim hinzu. Sie hatte erst vor wenigen Tagen Frau Hertha auf Steinsfeld aufgesucht und war dabei auch der jungen Witwe begegnet. Dort hatte Bona ihr lang und breit berichtet, welche Angst sie um Hardwin ausgestanden hatte, und die Burgherrin war in die gleichen Klagen ausgebrochen. Offensichtlich war die Sorge um ihn zu einer Klammer geworden, die Hardwins Mutter und Bona zusammenschweißte. Das Trauerjahr der jungen Frau war bereits zur Hälfte verstrichen, und daher konnte sie schon an eine neue Ehe denken. Auch ordnete sie sich Frau Hertha klaglos unter, und deshalb hielt diese sie für die ideale Schwiegertochter.
Marie schob diesen Gedanken beiseite und blickte Junker Peter fragend an. »Was ist denn nun mit Steinsfeld?«
»Dem geht es gut. Ich habe ihn nach Hause geschickt, damit er endlich seine Mutter besucht und sich die junge Frau ansieht, die bei ihr leben soll.«
»Sie heißt Bona und ist eine Freundin meiner Tochter!«, sagte Marie aufatmend und richtete ihre Aufmerksamkeit nun ganz auf den unverhofften Gast. »Folgt mir bitte in die Halle. Dort wartet ein Willkommenstrunk auf Euch. Ich lasse auch gleich ein Mahl auftragen, damit Ihr Euch stärken könnt.«
Peter lächelte. »Gegen einen Becher Wein und einen guten Bratenhabe ich nichts einzuwenden. Ach ja – wenn es keine Umstände macht, hätte ich gerne einen Schweinskopf dabei.«
Quirin, der hinter ihm stand, verdrehte die Augen. In den letzten Wochen hatte Eichenloh immer wieder davon erzählt, wie Trudi damals auf Fuchsheim mit einem Schweinskopf nach ihm geworfen und zielsicher getroffen hatte. Da er den manchmal recht eigenartigen Humor seines Anführers kannte, befürchtete er einen Zwischenfall, der das gute Einverständnis mit ihrer Gastgeberin beeinträchtigen würde.
Ohne sich um Quirins tadelnde Miene zu kümmern, folgte Peter Marie in den Wohnturm. Gerade, als er durch das Portal getreten war, schoss Trudi in sehr undamenhaftem Lauf zum Burgtor herein und eilte schnurstracks zum Hauptgebäude. Quirin trat schnell beiseite, um nicht von ihr angerempelt zu werden, und begann dann zu grinsen. Wie es aussah, versprach der heutige Tag noch interessant oder – besser gesagt – turbulent zu werden.
Händereibend überwachte Quirin die Knechte, die sich um die Pferde der Truppe kümmerten. Eine
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