Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
herein und legten Scheibchen davon in die heiße Eisenpfanne. Als der Geruch von gebratenem Fleisch aufstieg, verzog Taka bestürzt die Nase.
»Ich glaube nicht, dass ich das essen kann«, flüsterte sie Haru zu.
»Du weißt, was Herr Fukuzawa sagt.«
Bewundernd blickte Taka auf Harus schimmernden Chignon. Ihre Schwester sah immer so perfekt aus, nie stand ihr auch nur ein Haar ab. Obwohl sie nur zwei Jahre älter war als Taka, wirkte Haru bereits erwachsen. Stets mit einem heiteren Lächeln auf den Lippen, bereit, alles hinzunehmen, was auf sie zukam. Haru griff nach ihren Stäbchen und beugte sich vor.
»Wir müssen Fleisch essen, um unseren Körper zu kräftigen, wenn wir so groß und stark wie die Menschen aus dem Westen werden wollen.«
»Aber es riecht so … so eigentümlich. Kann ich noch zu Buddha und den Göttern beten, wenn ich das esse? Werde ich dann nicht wie einer aus dem Westen riechen? Du wirst es überall an mir riechen.«
»Hör sich einer die Mädchen an«, zwitscherte Tante Kiharu, hob ihre zierlichen Finger ans Kinn und neigte ihren kleinen Kopf. »Habt ihr denn nicht Im Schneidersitz um den Schmortopf gelesen?«
»Natürlich nicht«, erwiderte Fujino steif. »So einen Unfug lesen sie nicht. Sie sind gut erzogene junge Damen. Sie gehen zur Schule. Sie wissen bereits viel mehr, als du und ich je wissen werden. Geschichte, Naturwissenschaften, wie die Erde begann, wie man ordentlich spricht und Zahlen addiert …«
»Ah, aber meine liebe Fujino, ich frage mich, ob sie mit den wichtigen Dingen vertraut sind – wie sie einen Mann erfreuen und unterhalten und ihn dazu bringen, sie nie zu verlassen!«
Fujino faltete ihren Fächer zusammen, schlug ihr damit spielerisch auf den Arm und gluckste in vorgetäuschter Missbilligung. »Also wirklich, Kiharu-sama. Lass ihnen Zeit.«
Tante Kiharu war die beste Freundin von Takas Mutter. Beide waren in Kyoto zur Geisha ausgebildet worden, und Taka kannte sie, seit sie ein kleines Mädchen war. Jetzt neigte Kiharu kokett den Kopf und setzte ein wissendes Lächeln auf, spitzte die Lippen und zitierte in hohem Lispelton:
»Samurai, Bauer, Handwerker oder Händler,
Alter, Junger, Knabe oder Mädchen,
klug oder dumm, arm oder Parvenü,
isst du kein Fleisch, geht die Zivilisiertheit perdu!
Fleisch für den Winter – Milch, Käse und Butter dazu.
Isst du Bullenhoden, wirst ein Mann auch du!«
Fujino kreischte vor Lachen. Sie stippte ihre Stäbchen in die Pfanne, fischte ein Stück von dem grau werdenden Fleisch heraus und legte es säuberlich in Takas Schale. »Wir wollen zwar keinen Mann aus dir machen, aber zivilisiert solltest du schon sein!«
Nachdenklich kaute Taka auf dem Brocken herum, schob ihn im Mund hin und her. Das Fleisch war zäh, und der Geschmack war eher übelkeiterregend, doch sie würde sich daran gewöhnen müssen, wenn sie eine moderne Frau sein wollte. Sie dachte an den Rikscha-Jungen, der draußen wartete und seine Pfeife rauchte, an die Diener, die im Vorraum hockten. Wie schade, dass sie nie die Möglichkeit haben würden, zivilisiert zu sein, doch so ging es nun mal zu in der Welt.
In diesem Jahr hatte sich Takas Körper mehr verändert, als sie je für möglich gehalten hätte. Sie war rank und schlank geworden wie ein junger Bambus, hatte knospende Brüste unter ihren Kimonos entdeckt, hatte ihre erste Blutung gehabt – sie war zur Frau geworden. Wenn sie in Kyoto geblieben wären, der uralten Hauptstadt, in der sie geboren war, hätte sie inzwischen ihre Geisha-Ausbildung abgeschlossen und sich auf die rituelle Defloration vorbereitet. Stattdessen war sie hier im geschäftigen Tokyo und lernte, eine moderne Frau zu sein.
Denn die Welt veränderte sich sogar noch schneller als Taka. Ihre ersten Jahre hatte sie in Gion verbracht, dem Geisha-Bezirk im Herzen von Kyoto, in einem dunklen Holzhaus mit Bambusjalousien, die im Wind klapperten und knarrten, und einer dünnen Tür, die wackelte und in der Führungsrille hängen blieb. Dort war ihre Mutter eine berühmte Geisha gewesen. Wenn sie durch die schmalen Gassen des Bezirks trippelte, neigten die Vorübergehenden den Kopf und fragten in ihrem hohen, lispelnden Geisha-Singsang: »Guten Morgen, Fujino-sama, wie geht es Ihnen heute?«
Am Tage hallten die schwermütigen Klänge des Shamisen durchs Haus, während Fujino die darstellenden Künste ihres Gewerbes übte, denn Geishas waren, wie alle wussten, Unterhalterinnen, Künstlerinnen; die beiden Schriftzeichen gei und
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