Die tödliche Heirat
Mann starb an einem künstlich erzeugten Herzmuskelkrampf.«
»Künstlich?« Corner sah den Arzt ungläubig an.
»Man hat eine der neuesten und umstrittensten medizinischen Theorien bei ihm angewandt. Eine merkwürdige Verzahnung von Neuralpathologie und Psychosomatik! Der Russe Speransky entwickelte die Methode, Kranke zu heilen, indem er ihnen das Rückenmark so reizt, daß bestimmte Hormone zur Auslösung gelangen, die durch Sympathikus und Vagus angeregt werden und die sich stoppend vor die Krankheiten setzen. Es ist die Theorie des Zweitschlages im Nervensystem. Das bedeutet, daß ein Patient, der eine bestimmte Krankheit in sich trägt, ohne daß sich diese bisher entwickelt hat, plötzlich sterben kann, weil durch einen Reiz auf das Nervensystem die Krankheit eruptiv ausbricht. Wie Speransky hat der Mörder – denn es steht jetzt fest, daß es Mord ist – dem Unbekannten nach einer kleinen Narkose Rückenmarkflüssigkeit – Liquor genannt – entzogen und dann an der gleichen Stelle wieder eingespritzt! Hervorgerufen durch diese drastische Reizung des vegetativen Nervensystems, erlitt der Unbekannte eine Herzmuskellähmung! Ich muß dabei vorausschicken, daß dieser sogenannte Zweitschlag nur wirksam werden konnte, weil sich der Tote vor einiger Zeit schon einmal neuralpathologisch hat behandeln lassen!«
»Amen!« stöhnte Bennols. »Das soll einer verstehen!«
Murrey winkte ab. »Es steht jedenfalls fest: Der Mann starb durch äußere Gewaltanwendung!«
»Unbestreitbar. Ich habe von der Speranskyschen Rückenmark-Pumplehre allerhand gelesen … aber das ist meines Wissens der erste Mord, der mit Hilfe dieser medizinischen Erkenntnis verübt wurde! Immerhin«, – er mußte sarkastisch lächeln – »ein Beweis, daß die Lehre Speranskys Hand und Fuß hat!«
Henry Corner stützte den Kopf in beide Hände und starrte vor sich auf die Platte des Schreibtisches. »Ein wissenschaftlicher Mord also! Das erschwert die Lage kolossal! Die intelligenten Mörder sind immer die bestialischsten!«
Er erhob sich und schaute die anderen sinnend an. »Bennols und ich fahren erst einmal nach Trenton. Vielleicht können wir den Arzt finden, der den Toten neuralpathologisch behandelte. Es dürfte auch in Amerika nicht allzu viele Ärzte geben, die dieses Spezialgebiet beherrschen.«
Gegen 14 Uhr verließen Corner und Bennols New York und lenkten ihren Wagen auf die breite Landstraße nach Trenton. Als sie die Grenze der Millionenstadt verließen, kam ihnen auf der Gegenfahrbahn ein hellgrauer Bentley entgegen. Corner und Bennols achteten nicht darauf. Es war ein Wagen wie hundert andere, denen sie begegneten oder an denen sie vorüberfuhren.
5
Am 19. Mai 1954, einem warmen, sonnigen Mittwoch, erschien in der größten New Yorker Zeitung, der ›New York Times‹, diese unauffällige, ja man kann sagen alltägliche Heiratsanzeige:
»Wir wollen die Einsamen glücklich machen! Herren aus bester Gesellschaft mit eigenem Vermögen wird Einheirat in große Betriebe geboten, durch Vermittlung unseres Heiratsbüros ›Die Ehe‹. Nur ernstgemeinte Zuschriften mit Lichtbild und Vermögensnachweis unter Chiffre B 10/54 an die Expedition dieses Blattes.«
An dieser Anzeige war nichts Besonderes. So oder ähnlich ist sie in allen Zeitungen der Welt zu finden, man liest über sie hinweg oder schreibt auf sie einen netten Brief in der Hoffnung, dem Glück des Lebens ein wenig entgegenzugehen.
Letzteres erhoffte sich auch der Brückenbauingenieur John Paddleton, der während seiner Mittagspause, die er stets mit der Lektüre der ›New York Times‹ verbrachte, auf diese Anzeige stieß. Da eine Schreibmaschine in der Nähe stand, setzte er sich sofort hin und schrieb diesen Brief:
»Sehr geehrte Damen und Herren!
Ihre Anzeige in der New York Times habe ich gelesen. Durch die darin in Aussicht gestellten Chancen fühle ich mich sehr angesprochen. Ich bin Ingenieur und verfüge über ein Privatvermögen von rund 100.000 Dollar. Davon sind 30.000 auf meinem Girokonto, während sich 70.000 Dollar auf einige Grundstücke und Häuser verteilen, die ich in New Orleans besitze. Ich bin 1,76 m groß, schlank, 49 Jahre alt, gesund und unternehmungslustig. Da meine Frau vor vier Jahren gestorben ist und ich aufgrund meiner starken geschäftlichen Inanspruchnahme keine Gelegenheit habe, Bekanntschaften zu machen, würde ich mich freuen, durch Sie eine Dame aus besten Kreisen kennenzulernen. Ein Foto neueren Datums lege ich bei. Aber
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