Die tödliche Heirat
1
Der erste Mord wurde am 24. Mai 1954 entdeckt.
Es war ein regnerischer Dienstagabend; vom Atlantik wehte ein ziemlich heftiger Wind in die düsteren Hafenanlagen herüber, die im fahlen, durch Regenschauer abgedämpften Licht noch unwirtlicher als sonst aussahen.
Verständlich also, daß Bob Riley seinem Patrouillendienst mit wenig Freude nachging. Um genau zu sein: Er war mürrisch. Wer läuft auch schon gerne stundenlang durch prasselnden Regen? So war es fast ein Wunder, daß Riley den Mann sah.
Dieser saß wie schlafend im Schatten eines Schuppens im Hafenviertel Hoboken. Seine Beine ragten ein wenig in den Schein einer trüben Laterne hinein; sie ließ die glänzenden Lackschuhe wie einen Spiegel leuchten. Der Kopf des Toten war auf die Brust gesunken, den Körper bedeckte ein teurer, aus bestem Tweed geschneiderter Mantel. Das alles bot einen fast lässigen Anblick. Nichts deutete auf Verkrampfung hin, kein Teil des Körpers wies Blut auf. Ja, nicht einmal die Kleidung schien sonderlich beschmutzt. Lediglich das weiße Gesicht mit den wie ungläubig aufgerissenen Augen bewies dem Polizisten, daß er einen Toten und keinen eingeschlafenen Betrunkenen vor sich hatte.
Als der schrille Ton der Polizeipfeife den trüben Abend durchschnitt, sahen die wenigen Arbeiter, die noch in den Lagerhallen von Hoboken am Hudson-Hafen die Ware stapelten, kurz auf und nickten sich zu. »Schon wieder einer«, murmelte der lange Vormann und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Arbeiter schwiegen. Schmuggel ist ein verdammt hartes Geschäft, dachten sie. An einen Toten dachten sie nicht. Es war in den letzten Jahren ziemlich friedlich geworden im Hafen von New York. Nur der Schmuggel blühte noch, und hin und wieder gab es harte Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Gruppen, die um das Recht kämpften, die Ladung einlaufender Schiffe an bestimmten Molen zu löschen.
So kümmerten sich die Arbeiter nicht um das Sirenengeheul des Polizeiwagens, der kurz nach dem Pfeifsignal über die Uferstraße raste. Kaum einer der wenigen Menschen, die um diese Zeit auf Hoboken am Hudson standen, war auch Zeuge, wie der leblose Mann auf eine Bahre geschnallt und mit einer Decke verhüllt in einen Ambulanzwagen geschoben wurde. Auch die kleine Gruppe von Beamten, die noch einige Zeit den Fundort mit starken Handscheinwerfern absuchte, und der Polizeifotograf, der mit einer Spezialkamera Aufnahmen machte, erregten nicht viel Aufmerksamkeit.
Wenig mehr als eine Stunde später lag der Hafen von Hoboken wieder wie ausgestorben im klatschenden Regen. Der Hudson floß wie immer grauschwarz und träge in die Upper Bay. In den Lagerhäusern verloschen die letzten Lichter. Unter einem Ladedach stand ein anderer Polizist und blickte gelangweilt durch den Regen über die Uferstraße zu den Kränen hin-über, deren Stahlskelette sich schemenhaft von dem nächtlichen Himmel abhoben. Ein toter Mensch – was bedeutete das schon in dieser Riesenstadt New York mit ihren fast acht Millionen Einwohnern. Das Leben ging weiter …
Aber das Morden sollte nicht so schnell ein Ende nehmen.
2
Inspector Henry Corner war sowieso schon mit schlechter Laune zum Dienst erschienen. Am vergangenen Abend hatte er sich mit ehemaligen Schulkameraden zu einem Herrenabend getroffen und dabei wohl etwas zu tief in eine Menge von Gläsern geschaut. Jedenfalls war daraufhin die Nacht etwas unruhig verlaufen. Seine Stimmung besserte sich natürlich nicht, als ihm Lieutenant Stewart Bennols die Berichte der vergangenen Nacht auf den Schreibtisch legte. Es war der Morgen des 25. Mai, und neben einem Stapel Fotografien lag eine genaue Beschreibung des rätselhaften Toten, den man vor wenigen Stunden in Hoboken gefunden hatte.
Für Divison III/M – stand auf dem roten Aktendeckel. Corner sah die Mappe mißmutig an. »Wer hat denn das angeordnet?« fragte er Bennols, der hinter ihm stand und seine Pfeife stopfte.
»Chief Inspector Murrey wahrscheinlich. Er meint, daß wir den Fall übernehmen sollten.«
»Ist es denn ein glatter Mord?«
»Eben nicht. Dann hätte ihn Division II/A behalten. Aber Murrey hat nach der Obduktion angeordnet, daß wir ihn bekommen. Die Kollegen, die in der Nacht die Untersuchung leiteten, sagen nun, sie wüßten nicht weiter!«
»Sehr nett.« Inspector Corner schlug die Mappe auf und betrachtete das zuoberst liegende Bild. Es zeigte den Toten in seiner sitzenden Stellung an der Wand des Lagerschuppens. »Sieht aus, als schlafe er.
Weitere Kostenlose Bücher