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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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nicht reif für die Aufnahme in die Schar der »Reinen«. Die anderen lebten nach der wahren Lehre, ihre Seelen jedoch waren nach ihrem Tod noch nicht rein genug für die Erlösung. Und die dritten, das waren die Perfekten. Sie aßen niemals Fleisch und auch sonst nichts, was durch Zeugung in die Welt gekommen war. Sie lebten in völliger Armut, waren auf die Gaben angewiesen, die ihnen die Gläubigen darboten. Sie lebten in Enthaltsamkeit, denn alle weltlichen Gelüste waren des Teufels. Nicht einmal berühren durften sie ein Weib. Sie waren wie die Engel. Das, so erklärte Wido, seien die wirklichen Heiligen.
    Das mit den Frauen fand ich schon merkwürdig. Aber der alte Mann hielt sich eisern daran. Er vermied es peinlichst, uns Mädchen anzufassen. Einmal legte er uns segnend die Hand auf die Stirn, nicht ohne vorher ein Tuch darübergeworfen zu haben, damit er ja nicht unsere Haut berührte. Das erzählte ich meiner Ziehmutter, die uns daraufhin verbot, mit Wido zu reden. »Er ist böse«, sagte sie, »und ihr haltet euch von ihm fern, bei strengster Strafe, hört ihr?«
    Aber da kam zum ersten Mal Elisabeths Eigensinn durch. Sie beugte sich dieser Anordnung nicht, ganz im Gegenteil, sie ging noch häufiger zu Wido, allerdings heimlich. Und wir mit. Jedenfalls so lange, bis der unheimliche alte Mann wieder verschwunden war. Die Landgräfin beobachtete das alles mit großer Sorge, und ich weiß, dass sie den Alten am liebsten des Hofes verwiesen hätte, aber er stand ja unter dem besonderen Schutz ihres Gatten, und da hatte ihre Macht ein Ende. Erst viel später wurde mir klar, wie sehr sie unter all dem litt und wie groß ihre Angst war, dass sein Geheimnis entdeckt würde, dass man ihn als Ketzer verurteilte und er dann auch noch der ewigen Verdammnis anheimfiel.
    Aber von all diesen Dingen ahnten wir Kinder damals nichts.

Farnroda, Juli 1213
    D as kleine hölzerne Kirchlein lag am Rande des Dorfes, ein windschiefes Gebäude mit Schindeldach und einem niedrigen Glockenturm. Die Bauern waren viel zu arm, als dass sie sich je einen Steinbau hätten leisten können, und ein eigener Pfarrer war auch nicht da, aber jeden zweiten Sonntag kam einer der Eisenacher Stadtpfaffen auf seinem Eselchen herübergeritten, um die Messe zu lesen. Diesmal war die Reihe an Vater Zacharias gewesen, der nun, als die paar Dörfler schon gegangen waren, den gestampften Lehmboden fegte, beobachtet von einem einfach geschnitzten Christus, einer großzügigen Leihgabe aus der Kapelle der Wartburg, die gerade neu ausgestaltet wurde. Schließlich hatte der Landgraf die Rodung und Ansiedlung der Bauern an der alten Handelsstraße unterhalb der Hörselberge vor Jahren gefördert, und man mochte die hart arbeitenden Leute nicht ohne den Trost des Gekreuzigten lassen.
    Vater Zacharias blickte auf, als die Kirchentür knarrte. Wer wollte wohl noch etwas von ihm, wo der Gottesdienst längst vorbei war? Ah, jetzt erkannte er eine weibliche Gestalt, ein junges Mädchen, das langsam auf ihn zukam. Das Mädchen ging leicht gebückt, und es trug etwas in den Armen.
    »Du kommst zu spät zur Messe, mein Kind«, sagte der Geistliche mit leicht tadelndem Unterton. »Hast das Läuten wohl nicht gehört, hm?« Das Glöckchen war aber auch gar zu klein, und sein dünner Klang trug nicht weit.
    Das Mädchen schüttelte leicht den Kopf. Es mochte vielleicht dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein, mit braunen Locken, die unter dem schmutzigen Kopftuch hervorlugten, und einigen vom Kratzen entzündeten Flohbissen auf der linken Wange. Ängstlich sah das junge Ding den Pfarrer an, dann streckte es ihm mit einer einfachen Geste entgegen, was es im Arm gehalten hatte. Vater Zacharias kniff die Augen zusammen: Ein Kind, wohl gerade ein paar Wochen alt. Bauern, dachte der Priester verächtlich, pah. Kopulierten wie die Tiere, kaum dass sie den Windeln entwachsen waren. Das kannte man ja. Und die Mädchen waren natürlich besonders unzüchtig, bei den Maibaumtänzen, beim Schafscheren, überhaupt immer. Aber dennoch – waren sie nicht alle Gottes Kinder? Zacharias seufzte und stellte seinen Besen weg. »Das soll ich also taufen, ja?«, brummte er.
    Das Mädchen nickte, ihr Kind immer noch in den ausgestreckten Armen.
    »Na, dann komm.« Der Priester ging voraus zum Altar, neben dem eine kleine Säule mit einer gedrechselten Holzschüssel darauf stand.
    »Bub oder Mädchen?« Vater Zacharias goss Wasser in den Napf.
    »Bub«, flüsterte Mechtel.
    »Und, wie soll er

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