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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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gibt’s doch nicht!«
    Und dann lagen wir uns schon in den Armen. Ich konnte die Tränen kaum zurückhalten, so glücklich war ich, meinen alten Freund und Retter wiederzusehen. Da kam auch schon Miriam aus dem Haus gelaufen, freudestrahlend, und bedeutete uns mit sanften Gesten hereinzukommen. Und drinnen am Feuer saß Michel und schnitzte an einem Stück Holz, die Zunge vor lauter Eifer zwischen die Zähne geklemmt! Seine Narben an den Armen und im Gesicht waren kaum mehr zu sehen. Er erkannte uns erst auf den zweiten Blick, aber dann rannte er quietschend auf Raimund zu und ließ sich von ihm herumschwenken.
    Als ich eintrat, spürte ich einen Kloß im Hals. Dort drüben hatten wir abends immer gesessen, Elisabeth, Guda, Isentrud und ich. Ich sah alles vor mir, die wackligen Hocker, das Sidelbänkchen, den schweren Holztisch, auf dem immer Verbände und Stofftücher lagen. Mein Blick fiel durch die offene Tür in die Nebenstube. Dort drinnen war sie gestorben. Raimund drückte meine Hand, er erriet meine Gedanken. Und dann wurde ich schon wieder abgelenkt. Primus schob den kleinen Buben zu mir hin, den er auf dem Schoß gehalten hatte. »Das ist unser Jakob.« Ich herzte den Kleinen und schob Elschen zu ihm hin, damit sie zusammen spielen konnten. Miriam brachte derweil voller Stolz ein Körbchen, in dem ein Wickelkind schlummerte. »Und hier ist Maria, unser Kleinstes.« Primus platzte fast vor Stolz. Gegenseitig bewunderten wir unsere Kinder gebührend, ach, was für ein Glück!
    Miriam hatte inzwischen Apfelmost, Brot und Käse auf den Tisch gebracht; wir setzten uns und langten kräftig zu. »Wie kommt es, dass ihr hier im Hospital wohnt?«, wollte Raimund wissen.
    Primus breitete lächelnd die Arme aus. »Hier seht ihr den neuen Hospitalschaffer!«, sagte er. »Ihr wisst ja bestimmt, dass nach Elisabeths Tod die Deutschordensritter das Spital übernommen haben. Es kamen immer mehr Pilger, die auch hier übernachten wollten, und natürlich immer mehr Kranke, die sich Heilung erhofften. Dem alten Verwalter war das alles zu viel, und anfangs hab ich ihm nur geholfen. Alles Nötige in Vorrat bringen, überlegen, wie viele Sümmer Korn man fürs Jahr einkaufen muss, wie viele Schock Eier, was man an Stroh braucht, ob noch ein paar Klafter Holz über den Winter nötig sind. Und dann noch den Überblick über das Geschäft mit dem Geld, den Almosen und den Spenden behalten. Im letzten Jahr ist der alte Bernward dann gestorben, und man hat einen Nachfolger gesucht. Die Ordensmänner wollten mich erst nicht, aber dann haben sie gesehen, dass ich rechnen kann – hab ich doch von Euch gelernt, Herr Raimund, wisst Ihr noch? Ich hab ihnen das mit dieser neuen Zahl erklärt, der Null, und ein bisschen was vorgerechnet, und das hat sie so verblüfft, dass sie mich angestellt haben. Ja, und seitdem geht es uns gut! Miriam arbeitet im Spital mit, und Michel fängt nächstes Jahr eine Lehre beim Sattler an. Und schaut, wer noch hier ist!«
    Wir blickten zur Tür, wo ein großer blonder, schlaksiger Kerl stand, ein Bündel Reisig im Arm. »Das ist doch nicht …«, fragte ich.
    »Doch«, grinste Primus. »Das ist Hanno!« Er wandte sich an seinen Bruder. »Kennst du denn die Jungfer Gisa nicht mehr?«
    »Liebe Güte, Hannolein, du bist ja ein richtiges Mannsbild geworden!«, rief ich.
    Hanno ließ aus lauter Verlegenheit sein Bündel fallen. Aber dann grinste er über beide Backen; sein Auge rollte vor Begeisterung so weit nach hinten, dass man nur noch das Weiße sah. »Groß un’ stark«, lachte er, »groß un’ stark, kein Hannolein mehr!«
    »Meine zwei Schwestern hab ich auch nachkommen lassen«, berichtete Primus weiter. »Ida ist inzwischen verheiratet, mit einem Lohgerber in Weidenhausen. Das Irmel lebt mit den beiden und hat, glaub ich, auch schon einen Freier.« Er grinste und zwinkerte uns zu.
    »Bloß einer ist nicht mehr da«, warf Michel ein und machte ein trauriges Gesicht. »Ratz ist gestorben. Er war halt schon so alt.«
    »Und Ortwin?«, fragte Raimund schließlich. »Wisst ihr, was aus ihm geworden ist?«
    »Kommt«, sagte Primus nur.
    Er führte uns über den Hof zur Bleichwiese hinter dem neuen Hospitalgebäude. Kittel, Laken und Verbände lagen dort mit Steinen beschwert im Gras, um an der Sonne zu trocknen; auf der Flussseite stand immer noch der frühere Hasenstall. Wir gingen um den Stall herum – und da saß ein Mann mit schlohweißem Haar, den Rücken an einen Holzstoß gelehnt. Uralt sah er

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