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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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uns in Gnaden aufgenommen; mein Raimund ist seither einer von fünf Waffenmeistern, er und der Kaiser hatten sich ja schon vom Kreuzzug her gekannt. Ich bin nun eine von vielen Hofdamen, die der Favoritin des Kaisers aufwarten, der schönen Bianca Lancia – und zuweilen auch, im Vertrauen, den zahlreichen kaiserlichen Liebschaften. Es ist ein angenehmes, freies und leichtes Leben, so ganz anders als an deutschen Höfen. Raimund und ich kosten unsere Liebe an jedem Tag aus, den Gott uns schenkt. Wir sind so dankbar, dass uns das Leben endlich, nach so vielen Schicksalsschlägen und Widrigkeiten, zusammengeführt hat. Und als Segen unseres Bundes kam im Sommer vor zwei Jahren unsere Kleine zur Welt, gesund und hübsch, dunkel wie ihr Vater, aber mit meinen blauen Augen. Im Andenken an meine liebe Elisabeth haben wir sie nach ihr benannt, und wir erziehen sie im christlichen Glauben, auch wenn am Hof zu Palermo bald mehr Muselmanen leben als Christen. Elschen, wie wir sie nennen, ist ein echter Sonnenschein, sie wickelt ihren Vater täglich um den Finger, er hängt abgöttisch an ihr. Wir haben es nicht übers Herz gebracht, sie in Sizilien zurückzulassen, also reist sie mit, und es macht ihr sichtlich Vergnügen.
     
    Als wir in Marburg einritten, sah ich gleich, dass sich hier vieles verändert hatte. Straßen und Gassen, die vorher nur aus gestampfter Erde waren, hatte man gepflastert, Brunnen standen da, wo es früher noch keine gab. Das alte, windschiefe Häuschen, in dem ich meine Kammer hatte, fand ich nicht mehr, an seiner Stelle stand ein ganz aus Stein errichtetes Gebäude, das recht herrschaftlich aussah. Und überall gab es nun Tavernen und Wirtshäuser, eines am anderen. Die ganze Stadt wimmelte vor Menschen. Die Marburger Bürger waren reicher gekleidet als früher, und ich entdeckte viele neue Kramläden und Geschäfte. Ja, das alles hatte man Elisabeth zu verdanken. Denn seit ihrem Tod vor fünf Jahren hatte ein nie versiegender Strom von Pilgern zu ihrem Grab eingesetzt. Die immer wiederkehrenden Wunderheilungen taten das Ihrige, um täglich mehr Hilfesuchende in die Stadt zu bringen. Marburg war dadurch aufgeblüht und reich geworden.
    Ich fürchtete schon, unter all diesen Menschen würde ich diejenigen, auf die ich mich so sehr freute, gar nicht finden. Nachdem der Kaiser mit seinen engsten Vertrauten zur Burg hinaufgeritten war, quartierten wir uns in einem der neuen Wirtshäuser ein, dem »Haus zum Weißen Kreuz« am Hirschberg. Und dann machten wir uns eilig auf, um nach Primus und Miriam zu suchen. Die Kleine nahmen wir mit, sie musste nach der langen Fahrt im Wagen unbedingt noch ein bisschen rennen. Wir fassten sie zwischen uns an den Händen und ließen sie immer wieder nach ein paar Schritten hoch in die Luft fliegen.
    Das Haus in der Aulgasse stand noch. Ich klopfte an und fragte nach Primus und seiner kleinen Familie, aber die dicke Frau, die mir geöffnet hatte, schüttelte den Kopf. »Wir haben das Haus erst im letzten Jahr gekauft, edle Frau«, erklärte sie mir. »Und da hat oben in der Kammer schon keiner mehr gewohnt.«
    Unverrichteter Dinge begaben wir uns davon, fragten hier und fragten da, bis Raimund schließlich meinte, dass die Leute im Spital vielleicht am ehesten Bescheid wüssten. Also gingen wir zum Hospitaltor hinaus, Zeit genug bis zum Sonnenuntergang blieb uns ja.
    »Du meine Güte! Was hat sich hier alles verändert!« Ich war wirklich verblüfft. Kaum etwas erinnerte mehr an das kleine, alte Hospital, das ich noch gekannt hatte. Das alte Krankengebäude mit der Kapelle, in der wir Elisabeth damals bestattet hatten, stand nicht mehr. Stattdessen erhob sich an seiner Stelle eine viel größere Kirche aus Stein, die man über dem Grab errichtet hatte. Und auf der Südseite dieser Kirche standen große Gerüste; man konnte schon Seitenmauern und die Umrisse einer Apsis erkennen. Offenbar sollte hier eine noch prächtigere, geradezu riesige Kirche entstehen, die geeignet war, eine große Menge Pilger und Wallfahrer aufzunehmen. Ein neuer Krankensaal stand an anderer Stelle, ebenso wie etliche größere Nebengebäude. Von den alten Hütten und Schuppen war nichts mehr übrig außer dem kleinen quadratischen Häuschen, in dem wir gewohnt hatten. Und vor dem Häuschen auf der Schwelle saß – einen kleinen Jungen auf dem Schoß – Primus!
    Er sah uns im selben Augenblick wie wir ihn, setzte das Kind auf den Boden und sprang auf. »Gisa?«, rief er. »Raimund? Himmel, das

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