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Die Tore des Himmels

Die Tore des Himmels

Titel: Die Tore des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Weigand
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sie anklagend mitten auf seine Brust. Er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. Ein stechender Schmerz schoss ihm durchs Herz und raubte ihm den Atem. Er schrie auf, ging in die Knie. Und während Heinrich sich krümmte und wand, sprach der Geist laut und deutlich zu ihm: »Dann sage ich dir, Heinrich von Thüringen: Heute noch wirst du erfahren, wie groß der Schmerz ist, wenn man sein Liebstes verliert!«
    Er rappelte sich hoch, warf sich herum und rannte, rannte wie um sein Leben. Den schützenden Wald wollte er erreichen, aber die Wiese nahm kein Ende, dehnte sich aus ins Unendliche. Plötzlich stolperte er, fiel …
    Mit einem Schrei wurde er wach, fuhr aus den Kissen hoch. Er keuchte, sein Laken war schweißnass. Himmel, er hatte nur geträumt! Er stieß einen befreiten Seufzer aus und ließ sich zurückfallen. Erst lachte er leise in sich hinein, dann immer lauter, bis er schließlich vor Erleichterung ein paarmal tief ein- und ausatmete. Bei Luzifer! Es war alles in bester Ordnung! Nur ein Albtraum, der ihn geplagt hatte, pah, was auch sonst! In der Dunkelheit tastete er nach dem gefüllten Weinbecher, der nachts immer neben seinem Bett stand, und leerte ihn auf einen Zug. Dann drehte er sich mit wohligem Grunzen um und fiel in tiefen, ruhigen Schlaf.
     
    Viel später in dieser Nacht, in der dunkelsten Stunde kurz vor Sonnenaufgang, betrat die Kammerzofe die Wöchnerinnenstube. Sie trug in der einen Hand eine Kerze, in der anderen eine Schale mit Kohlen. Die junge Landgräfin hatte abends gefröstelt, und die Hebamme hatte gemeint, mehr Wärme könne nicht schaden, auch für die beiden Neugeborenen. Also hatte man ein Kohlebecken zwischen Bett und Wiege aufgestellt, das regelmäßig aufgefüllt wurde.
    Das Mädchen näherte sich leise der Bettstatt und versicherte sich, dass die Wöchnerin schlief – gut sogar, denn ihre Wangen waren rosig und die Atemzüge ruhig und gleichmäßig. Die Zofe nickte lächelnd, stellte die Kerze auf einen Wandsims und legte vorsichtig frische Kohlestückchen auf. Dann nahm sie den kurzen Schürstab, der unter dem gusseisernen Becken lag, und stocherte ein bisschen in der Glut, bis die Kohlen rot aufglommen. Ein letzter Blick in die Wiege sagte ihr, dass auch die beiden Bübchen schön schliefen. Zufrieden griff sie nach ihrer Kerze und verließ leise den Raum.
    Sie hatte nicht bemerkt, dass ein winziges Stückchen glimmender Kohle ganz an den Rand des Beckens gerutscht war. Und der Windhauch, der dadurch entstand, dass sie die Türe schloss, wehte es zu Boden.
    Das Kohlestückchen, kaum größer als eine Erbse, fiel in die Binsenstreu, die um Bett und Wiege ausgebreitet lag. Lautlos glomm es dort weiter und entzündete einen der trockenen Halme. Ein kleines, bläuliches Flämmchen züngelte empor, erfasste weitere Binsenstengel, leckte an einer getrockneten Rosenblüte. Die Blüte entflammte mit einem kaum hörbaren Zischen. Langsam fraß sich das kleine Feuer weiter, fand neue Nahrung in den Fransen des bauschigen Wiegenvorhangs, der das Ungeziefer von den Säuglingen fernhalten sollte. Fauchend ging der Stoff in Flammen auf.
     
    Niemand wagte Heinrich Raspe die Nachricht zu überbringen, dass seine Frau und seine beiden neugeborenen Kinder im Feuer umgekommen waren. Schließlich schickten sie den alten Rudolf von Vargula, den Landgrafen zu wecken. Später hieß es, sein Gebrüll sei bis nach Eisenach hinunter zu hören gewesen. Und man erzählte sich, in seinem Schmerz habe er tagelang immer wieder den einen Namen gerufen: Elisabeth.
    Keiner wusste, dass er damit nicht seine Ehefrau meinte, sondern seine tote Schwägerin.
    Und es wusste auch niemand, dass er in der Nacht nach der Bestattung von Frau und Kindern den Sarkophag noch einmal öffnen ließ, um die Zwillinge herauszuholen. Er legte die kleinen verkohlten Körper in eine Kiste und ritt damit nach Marburg, wo man inzwischen über Elisabeths Grab eine Steinkirche gebaut hatte. Dort, wo das Regenwasser vom Dach der Apsis auf die Erde tropfte, zwei Fuß von der Mauer entfernt, schaufelte er alleine und verzweifelt seinen Söhnen ein dunkles Grab. Ihre unschuldigen Seelen sollten nicht zur Hölle verdammt sein. Als er fertig war, kniete er sich vor den frisch aufgeworfenen Hügel und barg das Gesicht in den Händen. »Sieh mich an, Elisabeth«, flüsterte er in den fallenden Regen hinein. »Ich bin der Elendste meines Geschlechtes. Meine Sünden sind größer, als ich je abbüßen könnte. Verzeih mir, wenn du

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