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Die Tote am Watt

Die Tote am Watt

Titel: Die Tote am Watt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Schwanz an Schwanz lagen, alle auf der linken Körperseite und alle Augen auf Erik gerichtet. So wie die von Wolf Andresen, dessen ausdruckslose, kommerzielle Freundlichkeit sich erst allmählich wandelte.
    Sören drehte sich um und griff nach seinem Ausweis, Erik hielt seinen bereits in der Hand. »Wir kommen wegen Christa Kern. Der Name ist Ihnen bekannt?«
    Wolf Andresen nickte. »Eine Kundin von mir.«
    Er war ein großer, schlanker Mann von Anfang vierzig, mit einem schmalen Gesicht, das von hellgrauen Augen beherrscht wurde, die nun unruhig zwischen Erik und Sören hin und her huschten. Andresens schütteres Haar war penibel gekämmt und gescheitelt worden, sein blau-weiß-gestreiftes Hemd makellos, die weiße Schürze mit der Aufschrift Fisch-Andresen blitzsauber. Er zupfte seine dünnen Gummihandschuhe von den Händen, die rot waren vom vielen Säubern.
    »Sie wissen, dass Frau Kern ermordet worden ist?«, fragte Erik.
    Wolf Andresen nickte, streifte die Gummihandschuhe wieder über, griff zu den Seelachsfilets und richtete sie so aus, dass von den schmalen Schwanzstücken keines über die Platte hinausragte, auf der sie angeordnet waren. »Ich habe es heute Morgen im Radio gehört«, antwortete er und tastete mit unruhigen Händen über das Einwickelpapier, löste die Bögen voneinander, strich sie glatt und legt sie wieder sorgfältig Ecke auf Ecke.
    »Wann haben Sie Christa Kern zum letzten Mal gesehen?«, fragte Erik.
    »Ich muss in meinem Auftragsbuch nachsehen.«
    »Dann tun Sie das, bitte.« Erik warf Sören einen vielsagenden Blick zu, während Wolf Andresen zu einem Pult ging, auf dem ein dickes aufgeschlagenes Buch lag. Hastig blätterte er ein paar Seiten zurück.
    In die Stille drang wieder die Stimme der Frau durch die Perlenschnüre: »… der Wolf drückte auf die Klinke, die Türe sprang auf, und er ging, ohne ein Wort zu sprechen, gerade zum Bett der Großmutter und verschluckte sie.«
    Das Kind, das immer wieder leise gewimmert hatte, begann nun laut zu weinen. »Nein, nicht auffressen.«
    »Schon gut«, sagte die Frauenstimme. »Diesen bösen Wolf gibt es ja nur im Märchen.«
    Andresen strich die Seiten des Buches glatt, dann drehte er sich zu Erik und Sören um. »Vor fünf Tagen habe ich ihr eine kleine Edelfischplatte geliefert«, erklärte er.
    »Vor fünf Tagen«, wiederholte Erik nachdenklich. »Heute ist Dienstag. Am Donnerstag also?«
    Andresen nickte. »Ja, Donnerstagabend um acht.«
    »Sie haben die Platte selbst nach Kampen gebracht?«
    Andresen nickte, strich seine Schürze glatt und griff nach hinten, um die Bänder, die im Rücken geknotet waren, zu straffen. Unruhig arbeiteten seine Hände hinter seinem Körper, bis er mit dem Sitz der Schleife zufrieden war. »Ja, ich bin selbst nach Kampen gefahren.«
    Erik betrachtete eine Weile den zuckenden rechten Mundwinkel und die unruhigen Augenlider seines Gegenübers. »Wir haben jede Menge Umverpackungen in Christa Kerns Haus gefunden«, erklärte er. »Demnach sind Sie oft nach Kampen gefahren, um Frau Kern zu beliefern. Immer höchstpersönlich?«
    Andresen nickte, nahm eine Gabel, schob einen Rollmops ein wenig nach links, sorgte dafür, dass die Holzspieße aller Rollmöpse in dieselbe Richtung zeigten, und nickte dann noch einmal. »Ja, ich habe zwar einen Auslieferer, aber zu Frau Kern bin ich immer selbst gefahren.«
    »Warum?«
    »Warum?« Andresen sah Erik verblüfft an. »Nun … mein Fahrer liefert während der Öffnungszeiten aus. Dann muss ich ja hier im Geschäft bleiben. Nach Ladenschluss hat der Fahrer Feierabend, und ich bringe selbst die Waren zu den Kunden.«
    »Christa Kern wurde immer erst nach Ladenschluss beliefert?«
    »Ja. Immer abends.«
    »Frau Kern lebte sehr zurückgezogen. Wir haben uns sagen lassen, dass sie nie Gäste hatte. Sie haben demnach immer nur kleine Portionen geliefert. Für eine Person.«
    Andresen nickte. »Ja, mal ein bisschen Lachs mit Honigsauce, mal einen Krabbencocktail … Den aß sie sehr gern.«
    »Sie kaufte ihren Fisch nie hier im Laden?«
    Andresens Mund verzog sich. »Nein, sie hätte niemals einen Fischladen betreten. Sie konnte den Geruch nicht ausstehen. Wenn ich zu ihr fuhr, musste ich mich immer erst umziehen, damit ich ihr keinen Fischgeruch ins Haus trug.«
    Sören machte einen Schritt vor. »Ziemlich viel Aufwand für eine einzige Portion Lachs oder Krabbensalat, finden Sie nicht?«
    Andresens Schultern begannen zu zucken, seine Finger irrten auf der Waage herum.

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