Die Tote von Buckingham Palace
gehen dürfen«, erklärte Pitt geduldig.
»Was haben Sie vor?«
»Hineingehen und Dienstboten fragen«, gab Pitt mit leichtem Lächeln zurück. »Am besten in der Küche. Ich bin mir nicht zu schade, die Köchin um eine Tasse Tee und ein Stück Toast zu bitten. Das würde ich sogar mit für Sie tun, wenn Ihnen das recht ist.«
»Ist mir recht«, gab Narraway widerwillig sein Einverständnis.
»Danach kann ich wieder denken«, fügte Pitt hinzu. »Wir haben die Sache am falschen Ende angefasst.«
»Hätten Sie mir das nicht gleich sagen können?«, fragte Narraway sarkastisch.
Eine Viertelstunde später saßen sie in einer großen Küche, die äußerst angenehm auf sie wirkte, am Tisch, tranken Tee und erkundigten sich nach Unbekannten, die in der Nachbarschaft gesehen worden waren, fragten, ob jemand eingebrochen, Zaumzeug oder anderes Material aus Ställen entwendet hatte. Auch wenn sie nichts erfuhren, was ihnen nützlich gewesen wäre, konnten sie doch immerhin eine Weile sitzen, Tee trinken und Toast mit ziemlich guter Orangenmarmelade essen.
Nachdem die Küchenhilfe und die Köchin die knappen Fragen der Beamten beantwortet hatten, machten sie sich wieder an ihre Arbeit, die bei der Köchin darin bestand, Frühstück für die Herrschaften herzurichten.
»Jetzt erst begreife ich«, sagte Pitt plötzlich.
»Was ist Ihnen erst jetzt aufgegangen? Strapazieren Sie meine Geduld nicht über Gebühr.« Narraway nahm eine weitere Scheibe Toast aus dem Ständer und bestrich sie mit Butter.
Pitt reichte ihm die Orangenmarmelade. »Wir haben den Fuhrmann einfach deshalb nicht weiterverfolgen können, weil er sein Aussehen verändert hat. Vermutlich hat er sich für die Unternehmung nicht nur anders gekleidet als sonst, sondern sich
auch anders verhalten und sein Gesicht mit Schmutz unkenntlich gemacht.«
»Weil er von Haus aus kein Fuhrmann ist«, gab ihm Narraway recht. »Schön, das wissen wir jetzt. Aber es sagt uns weder, was er in Wirklichkeit ist, noch, was weit wichtiger wäre, wo er sich aufhält.«
»Es sagt uns aber, dass man ihn ohne seine Verkleidung kennen könnte.«
»Ja …« Diesmal begriff Narraway sofort.
»Was wissen wir über ihn?«, fuhr Pitt fort. »Offensichtlich vertraute ihm Dunkeld in jeder Hinsicht, und zwar nicht nur in Bezug darauf, dass er ihn nicht verraten würde, sondern auch, was seine Kaltblütigkeit und seine Fähigkeit anging, eine Frau zu finden, die man bei flüchtigem Hinsehen für Sadie halten könnte …«
»Flüchtiges Hinsehen?«, fragte Narraway. »Sie ist doch als Sadie identifiziert worden.«
»Ja, aber von Dunkeld«, erinnerte ihn Pitt. »Die Leiche brauchte nur bestimmte recht allgemeine äußere Merkmale aufzuweisen: sie musste blaue Augen haben, brünett, durchschnittlich groß und gut gebaut sein.«
»Und sie musste pünktlich am Palasttor abgeliefert werden«, sagte Narraway sinnend. »Also hat Dunkeld dem Mann wohl getraut. Wir haben keine Vorstellung, wer es sein könnte. Dutzende kommen dafür infrage.«
Pitt beugte sich weiter über den Tisch vor. »Aber von wem hat Dunkeld erfahren, auf welche Weise die Frau in Kapstadt umgebracht worden war? Er hatte sich nicht dort aufgehalten, das hat er selbst betont, und Ihre Nachforschungen haben das bestätigt. Andererseits war der Mord nicht allgemein bekannt; man hat die Geschichte damals schnellstens unter den Teppich gekehrt.«
Narraway hob die Brauen.
»Wollen Sie damit sagen, dass er doch dort war?«
»Nein. Aber jemand, der dort war, könnte ihm davon berichtet haben, und diesem Jemand hat er so sehr getraut, dass er diesen Menschen zum Komplizen gemacht, seine Zukunft und sogar
sein Leben in seine Hände gegeben hat. Warum hat der ihm wohl diesen Dienst erwiesen?«
»Weil ihm ebenso viel an dem Projekt liegt wie Dunkeld«, sagte Narraway. »Damit sind wir wieder bei Sorokine, Marquand oder Quase. Jeder der drei hätte ihm über den Mord an der Frau berichten können, falls einer von ihnen der Täter war. Aber warum zum Kuckuck hätte ihm der Täter etwas auf die Nase binden sollen, was ihn an den Strang bringen könnte? Sofern er meinte, sicher sein zu dürfen, dass Dunkeld diese Information nie gegen ihn verwenden würde, muss er entweder wirklich verrückt sein oder Dunkeld so fest in der Hand gehabt haben, dass dieser nicht wagen würde, ihn zu verraten. Da aber keiner der drei den Palast verlassen hat, drehen wir uns im Kreis und wissen nach wie vor nicht, wer der Fuhrmann ist. Oder glauben
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