Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
Victor deutete auf den See und ergänzte: „Da untenwerden Sie eine Leiche finden, Warden. Es handelt sich um Sarah Miller, die seit einiger Zeit verschwunden ist, und deren Leiche Miss Clarence in der Bibliothek des Herrenhauses gefunden hat.“
„Es scheint wohl so.“ Mit gerunzelter Stirn sah Warden zu Mabel, er wirkte ein wenig zerknirscht. „Ich weiß noch nicht genau, was hier vor sich geht, bin aber bereit, mir Ihre Aussagen anzuhören.“
„Endlich!“ Mabel schloss die Augen und nickte. „Woher wussten Sie eigentlich, dass wir hier draußen sind?“
„Das ist eine längere Geschichte“, antwortete Warden. „Wir werden Sie jetzt erst mal ins Hospital bringen und dann alles Weitere klären.“
Wenige Meter von ihnen entfernt knackte es im Unterholz und Mabel, obwohl nun in Sicherheit, fuhr mit einem Schrei herum. Sie glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als Abigail zwischen den Büschen auftauchte, die Gesichtszüge starr wie Stein, und jegliche Farbe war aus ihrem Teint gewichen.
„Wie lange bist du schon hier?“, fragte Mabel, wusste die Antwort aber bereits, bevor Abigail antwortete.
„Lange genug. Ich wünschte, ich hätte eine Waffe, dann hätte ich ihn eigenhändig erschossen.“ Jedes Wort schien Abigail eine Qual zu sein, und Sergeant Bourke, der zwar nicht wusste, was genau vor sich ging, nahm stützend ihren Arm.
Sie mussten nur wenige Minuten warten, bis die Sirenen des Krankenwagens und weiterer Polizeiautos erklangen und – da die Wagen nicht bis an den See heranfahren konnten – drei Sanitäter und vier Beamte durch den Wald kamen. Als einer der Sanitäter Mabel am Arm fasste und sie zum Wagen führen wollte, knickten Mabels Beine plötzlich ein, als wären sie aus Pudding, und vor ihren Augen wurde allesschwarz. Der Sanitäter konnte sie gerade noch auffangen, sonst wäre sie zu Boden gestürzt. Mabel Clarence war zum ersten Mal in ihrem Leben ohnmächtig geworden.
Mabel und Abigail wurden ins Krankenhaus nach Liskeard gebracht, denn Abigail stand kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Dieses Mal bestand Mabel nicht darauf, das Hospital sofort wieder zu verlassen, denn sie litt unter starken Kopfschmerzen. Die leichte Gehirnerschütterung, die sie bei dem Autounfall erlitten hatte, war noch nicht ausgeheilt, und Justins Schlag mit dem Gewehrkolben hatte ihr eine zusätzliche kinderfaustgroße Beule beschert.
„Victor!“ Mabels Augen leuchten, als der Tierarzt das Krankenzimmer betrat. „Geht es Ihnen gut?“
Er lächelte. „Das fragen ausgerechnet Sie? Mir ist nichts geschehen. Ich war bis eben auf dem Präsidium und habe alles zu Protokoll gegeben. Chefinspektor Warden möchte auch mit Ihnen sprechen, ich hab’ ihm aber gesagt, Sie brauchen erst mal ein paar Tage Ruhe.“
„Was ist mit Abigail?“, fragte Mabel.
„Man hat ihr eine Spritze gegeben, sie schläft jetzt.“ Victors Augen verengten sich und zornig ballte er die Hände zu Fäusten. „Wie furchtbar, dass Ihre Cousine alles mit anhören musste. Ich könnte den Typ eigenhändig erwürgen.“
„Na, na, Victor.“ Mabel schüttelte lächelnd den Kopf. „Von Morden habe ich die Nase voll, wie es so schön heißt.“
Victor nahm ihre Hand und drückte sie leicht.
„Ich werde jetzt wieder gehen, damit Sie sich ausruhen können. Werden Sie bald wieder gesund, liebe Mabel.“
Für einen Moment glaubte Mabel in seinen Augen einen liebevollen Schimmer zu erkennen, und ihr Herz tat einenSprung, dann wandte sich Victor zur Tür und verschwand mit einem kurzen „Bis dann“.
Entspannt lehnte sich Mabel in den Kissen zurück. Es war vorbei – der Mörder von Sarah Miller war verhaftet und würde seiner gerechten Strafe zugeführt werden. Mabel war allerdings in Sorge, wie Abigail mit Justin Parkers Verrat umgehen würde. Je älter man wurde, desto schwerer verkraftete man Schicksalsschläge, dachte sie und hoffte, Abigail würde nicht daran zerbrechen.
Am nächsten Vormittag suchte Chefinspektor Warden Mabel im Hospital auf und ließ sich von ihr den genauen Ablauf der Ereignisse am See schildern. Ebenso interessiert hörte er zu, als Mabel von Sarah Miller berichtete, und dass die junge Frau die Tochter von Arthur Tremaine gewesen war.
„Wir haben bereits mit Alan Trengove gesprochen“, sagte Warden. „Doktor Daniels hat uns die Zusammenhänge erklärt, und Miss Thompson, Trengoves Mitarbeiterin, wird derzeit verhört. Sie leugnet, von dem Mord etwas gewusst zu haben. Es wird schwer werden, ihr das
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