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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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wollten sie einen Abend in der Stadt verbringen, in Restaurants oder Kasinos. Sie gingen durch die kleine Tür mit dem zugenagelten Fenster hinein.
    »Ich muss bleiben«, antwortete Sevilla schließlich. »Diese Männer … jemand muss sie aufhalten.«
    »Wenn Sie sie aufhalten wollten, wären Sie nicht allein. Ich bin alt,
Señor,
aber nicht blind. Sie sind hier, um zu sterben.«
    Als Sevilla Rudolfos Worte hörte, wandte er sich von der Straße ab. Der steinalte Mann saß wieder auf der Couch, hatte die Karten auf dem Beistelltisch aber nicht angerührt. Während er Rudolfo betrachtete, schaltete der Mann eine Lampe ein; gelbes Licht durchflutete das Zimmer.
    »Ich bin nicht hier, um zu sterben«, widersprach Sevilla.
    »Nicht?«
    »Nein. Ich bin schon zu lange an dieser Sache dran, um zu sterben, bevor sie erledigt ist.«
    Immer mehr Autos fuhren vor, bis eine ganze Reihe vor dem Gebäude und auf der anderen Straßenseite an den Bordsteinen stand. Sevilla sah noch mehr Frauen, mehr Prostituierte, aber auch welche, denen man selbst auf die Entfernung ansah, dass sie keine Huren waren. Das saure Gefühl in seinem Magen, in dem das Essen wie Blei lag, stellte sich wieder ein.
    »Die Männer, die Sie suchen, sind keine
narcos,
oder?«
    Sevilla griff zum Notizblock und schrieb Anweisungen darauf, musste sich aber bremsen, damit die Handschrift leserlich blieb; Rudolfo hatte die Anweisungen zu befolgen, und darum sollte er sie auch lesen können.
    »Wer sind die?«, fragte Rudolfo noch einmal.
    »Sie wollen lieber nicht wissen, was das für Männer sind«, antwortete Sevilla.
    Jetzt hörte er etwas von der Straße. Er hielt inne, horchte in die Nacht hinaus und hörte es wieder: den wummernden Beat lauter, elektronischer Musik. Durch die Risse und Löcher in den verrosteten Aluminiumtüren und durch die hohen Fenster sah man Lichter. Jemand hatte sie geöffnet; der Lärm der Party drang heraus.
    Er schrieb zu Ende und ging zu Rudolfo. »Hören Sie zu«, sagte er. »Wenn ich fort bin, möchte ich, dass Sie fünfzehn Minuten warten und dann eine Telefonnummer anrufen. Diese Nummer hier.«
    »Mein Telefon funktioniert nicht«, sagte Rudolfo. »Die wollen die Leitung am Montag reparieren.«
    Sevilla zuckte zusammen, dann griff er in die Tasche. Er drückte dem steinalten Mann das Handy in die Hand. »Hier. Das ist mein Telefon. Können Sie mit so einem Telefon umgehen?«
    »Ja.«
    »Gut. Es hat auch eine Uhr. Warten Sie fünfzehn Minuten und rufen Sie dann diese Nummer an. Wenn Sie durchgestellt werden, sagen Sie denen meinen Namen und genau das, was ich hier aufgeschrieben habe. Jedes Wort.«
    »Wen rufe ich an?«
    »Die Policía Federal«, sagte Sevilla zu Rudolfo. »Wenn die eintreffen, schließen Sie die Fenster und gehen ins Schlafzimmer. Es könnten Schüsse fallen. Ich will nicht, dass Sie zu Schaden kommen. Verirrte Kugeln fliegen weit.«
    »Sie gehen da rein?«
    »So ist es.«
    »Was meinen Sie, können Sie ausrichten, was die
policía
nicht kann?«
    Sevilla legte Rudolfo das Notizbuch auf den Schoß. Er ergriff die Händedes steinalten Mannes, der das Handy zwischen den alten, aber kräftigen Fingern hielt. »Etwas Gutes kann ich ausrichten. Versprechen Sie mir nur, dass Sie tun, worum ich Sie bitte. Ich danke Ihnen für alles, aber bitte tun Sie es.«
    »Wird gemacht.«
    »Gracias, Señor. Muchas gracias.«
    Er verließ das Apartment und wartete, bis er hörte, wie Rudolfo die Kette wieder vorlegte und die Tür absperrte. Im Treppenhaus herrschte Halbdunkel, doch das Licht reichte aus, dass Sevilla die Pistole ein letztes Mal überprüfen konnte. Er atmete zu schnell, die Ränder seines Gesichtsfelds glommen weiß. Er entspannte sich mit großer Willenskraft und ging die Treppe hinunter.
    Auf der Straße hörte er die Musik deutlicher. Sie wummerte immer lauter, je mehr er sich dem Gebäude näherte, bis sein Herz im selben Rhythmus schlug und seine Nerven sich beruhigten. Er sehnte sich nicht mehr nach einem Whisky.
    Auf der Straße standen Leibwächter. Sevilla dachte, dass einer davon Ortíz’ Mann sein könnte, wollte sich aber nicht vergewissern. Er schlich über die Brache, geduckt, damit das hohe Gras ihn verdeckte, und machte kein Geräusch, das die Musik nicht übertönt hätte. Als er zur Rückseite ging, hörte er drinnen Jubelrufe ertönen.
    Licht strahlte aus einem Riss in der Hintertür der Halle. Sevilla presste das Gesicht daran. Er sah den Lexus nicht weit entfernt mit offenem Kofferraumdeckel

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