Die Traene des Drachen
war, als sie hier bei euch einfielen, oder etwa nicht, Albin?“ Um Unterstützung flehend suchte sie Albins Augen. Dieser stimmte ihr mit resigniertem und traurigem Blick zu. „Kellen, Elea hat recht. Es hätte nichts geändert.“ Zu dem Mädchen gewandt sagte er jedoch mit belegter Stimme, aus der auch seine Enttäuschung herauszuhören war. „Warum bist du einfach gegangen, ohne etwas zu sagen, ohne dich von mir zu verabschieden?“
Breanna hatte inzwischen Eleas Gesicht von dem getrockneten Blut befreit. Was sie darunter entdeckte, ließ sie laut die Luft einziehen. „Da ist ein tiefer Schnitt mindestens vier Fingerbreit lang. Den muss ich nähen“, sagte Breanna. „Dann tu es, bitte!“, forderte Elea sie sanft auf, immer darauf bedacht ihre innere Ruhe auf die anderen zu übertragen. „Aber ich werde mindestens acht Stiche machen müssen.“ Breannas Stimme hatte einen panischen Unterton angenommen. „Breanna, beruhige dich! Die paar Stiche halte ich schon aus.“
Während Breanna immer wieder leise aufschluchzend die nötigen Dinge herbeiholte, richtete Elea ihre Aufmerksamkeit wieder auf Albin. „Albin, es tut mir so leid! Aber ich musste es tun, um euch alle zu schützen. Es wäre viel zu gefährlich gewesen, Breanna mit Louan und Kaitlyn allein zu lassen. Und wenn dieser maskierte Kerl uns drei auf der Flucht aufgespürt hätte - und das hätte er, davon bin ich überzeugt - dann wäre es sicherlich zu einem Kampf gekommen, in dem du oder Kellen verletzt oder sogar getötet worden wärst. Er schreckt vor nichts zurück. Bitte vergib mir! Ich liebe euch alle so sehr. Wenn euch etwas zustoßen würde, nur weil ihr damals die Gefahr auf euch genommen habt, mich in eure Obhut zu nehmen und mich aufzuziehen wie euer eigenes Kind... Das könnte ich nicht ertragen.“
Breanna half Elea hoch und führte sie zu einem Stuhl, den sie an das geöffnete Fenster gestellt hatte. Hier hatte sie zum Nähen das Licht der aufgehenden Sonne. Sie drückte die junge Frau sanft in den Stuhl und wartete nicht lange mit dem ersten Stich. Elea zwang sich bei jedem Stich, ein Zusammenzucken und eine schmerzverzerrte Miene zu unterdrücken. Breanna sah immer wieder hinaus in den Hof zu dem schwarz gekleideten Mann hinüber, der bei seinem Pferd stand und sich an seinem rechten Oberschenkel zu schaffen machte. „So wie es aussieht, hast du dem Bastard ins Bein getroffen. Gut so! Hoffentlich bekommt er Wundbrand!“, zischte Breanna voller Hass. „Mir wäre es lieber gewesen, mein erster Pfeil hätte ihn ins Herz getroffen. Aber er ist ihm einfach lässig ausgewichen. Ist so etwas möglich, Albin?“ Der Jäger hielt Kellen nach wie vor krampfhaft am Arm fest. Dieser hatte scheinbar immer noch mit seiner in ihm tobenden Wut kämpfen. Erstaunt sah er zu Elea: „Gesehen habe ich so etwas noch nie, aber davon gehört. Er muss außerordentlich gute Augen und enorm schnelle Reflexe haben.“
Elea zog scharf die Luft ein, als Breanna zum achten Male die Nadel durch ihr Fleisch stieß. Auf der Stirn der jungen Frau hatten sich bereits kleine Schweißperlen gebildet. Breanna arbeitete so schnell und sorgfältig wie möglich. Erst jetzt bemerkte Elea die beiden Krieger, die sich zu ihrer Bewachung noch im Haus befanden. Einer stand neben der Treppe. Der zweite hatte bei dem Fenster Posten bezogen, nur zwei Schritte von ihr entfernt. Beide musterten sie mit unverhohlener Bewunderung. Elea wollte gar nicht darüber nachdenken, was sie an ihr bewunderten. Rasch wandte sie wieder ihren Blick von ihnen ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Breanna. Diese schnitt gerade den Faden ab und begutachtete ihr Werk. „Ich habe mein Bestes getan, Elea, aber die Narbe wirst du dein Leben lang behalten.“
„ Das ist mir egal“, antwortete die junge Frau ungerührt. Sie erhob sich langsam und ging auf wackeligen Beinen hinüber zu Albin an den Tisch. Mit beruhigender Stimme fuhr sie fort: „Albin ich werde mit ihnen gehen. Wir haben keine Chance. Ich werde mich meinem Schicksal ergeben und mir anhören, was der König von mir will. Ihr werdet hier friedlich euer Leben weiterführen – ohne mich. Ihr kanntet die Prophezeiung und habt damit gerechnet, dass der Tag kommen würde, an dem sich unsere Wege trennen würden. Sonst hättet ihr mich nicht so gut vorbereitet, auch wenn es vielleicht momentan den Anschein hat, als wäre alles umsonst gewesen. Ihr habt eure Aufgabe erfüllt, jetzt liegt es an mir, meine zu erfüllen.“
Zu Kellen
Weitere Kostenlose Bücher