Die Traene des Drachen
und rannte um ihr Leben. Noch ein paar Schritte und sie erreichte den Wald. Behände wich sie den auf sie zukommenden Hindernissen aus. Aber lange konnte sie dieses Tempo nicht mehr durchhalten. Ihre Beine wurden immer schwerer. Aus dem kurzen Schlaf in der Höhle hatte sie nicht genügend Kraft schöpfen können. Sie rannte einfach ohne ein Ziel, nur weg von diesem grauenvollen Mann. Aber unglücklicherweise schien ihn seine Verletzung nicht übermäßig zu behindern. Er kam unaufhaltsam näher. Sein Keuchen und seine über den Waldboden donnernden Schritte wurden immer lauter. Völlig unerwartet fiel sie der Länge nach hin. Sie hatte einen dünnen, umgefallenen Baumstamm übersehen. Ein dumpfer Schmerz schoss in ihr linkes Knie. Sie war auf einen Stein gestürzt. Sie biss die Zähne zusammen und rappelte sich schnell wieder auf. Dabei blickte sie sich noch einmal nach ihrem Verfolger um. Er war vielleicht nur noch zehn Schritte von ihr entfernt.
Gleich ist alles vorbei! Gleich hat er mich!
Die ersten Tränen liefen ihr bereits die heißen Wangen hinunter. Ihre Lungen kamen zwar immer noch ihrem Dienst nach und pumpten Luft in ihren Körper, aber jeder Schritt wurde von mal zu mal schwerfälliger. Ihre Muskeln verkrampften schmerzhaft. Aber einfach aufgeben würde sie nicht. Diese Genugtuung würde sie ihm nicht geben. Sie mobilisierte nochmals alle ihre Kräfte, wich ein paar Sträuchern aus und sprang über einen umgefallenen Baum. Zwei oder drei Augenblicke später übersprang auch ihr Verfolger dieses Hindernis. Er war vielleicht nur noch zwei oder drei Armlängen hinter ihr. Sein Keuchen schien ihr bereits lauter als ihr eigenes. Elea war am Ende. Jeder Schritt war inzwischen zu einer Qual geworden. Sie schloss die Augen und wartete, dass sich die Arme ihres Verfolgers um ihre Taille schließen würden. Dann war es soweit: Mit einem Hechtsprung begleitet von einem martialischen Schrei stürzte er sich von hinten auf sie und brachte sie beide zu Fall. Schwer atmend begrub er sie unter seinem Körper. Sie konnte kaum Luft holen, so schwer lastete er auf ihr. Strampelnd versuchte sie, sich von ihm zu befreien. Doch es war zwecklos. Er war zu schwer. Sein heißer, schneller Atem hinterließ eine feuchte Spur auf ihrem Nacken. „Was wollt Ihr von mir? Lasst mich los! Ihr tut mir weh“, presste sie halb erstickt hervor. Mit keuchender, aber selbstgefälliger Stimme antwortete er: „Um Eure Frage zu beantworten: Ich werde Euch nach Moray zu König Roghan bringen. So lautet mein Befehl. Was Euer Anliegen angeht: Ich werde Euch ganz sicherlich nicht loslassen.“ Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da spürte Elea wie er ihre Hände schmerzhaft hinter ihrem Rücken fesselte. Dann drehte er sie grob auf den Rücken, sodass sie ihm direkt in die Augen schaute oder vielmehr in die Löcher seiner Maske. Mit rauer Stimme fuhr er fort: „Ihr behauptet, ich tue Euch weh. Ihr habt mir zuerst Schmerzen zugefügt, indem Ihr mir einen Eurer Pfeile ins Bein gejagt habt, oder etwa nicht!?“ Elea konnte nicht glauben, was sie da hörte. Sie vergaß ihr Schluchzen und schnaubte ungehalten. „Mir blieb ja auch nichts anderes übrig. Ihr standet da - mitten auf der Lichtung - wie ein Rachegott. Ich musste mich ja wohl irgendwie verteidigen. Ihr seht nicht gerade vertrauenserweckend aus mit Eurer Maske und das noch mitten in der Nacht. Oder hätte ich Euch etwa mit freundlichen Worten dazu überreden können, mich einfach meines Weges gehen zu lassen?!“ Maél erhob sich und zog Elea mit eisernem Griff um ihren Oberarm mit sich hoch. Seine Vermutung, dass alle weiblichen Mitglieder dieser Familie mutig waren und ihre Angst zugunsten einer spitzen Zunge hinunterschluckten, bestätigte sich. Er stieß sie grob vor sich. „Wohl kaum! Los, setzt Euch in Bewegung! Eure Familie macht sich bestimmt schon Sorgen und fragt sich, wo wir so lange bleiben.“ Sie drehte sich abrupt um und stieß unsanft mit ihrer Nase gegen seinen harten Brustpanzer. „Was habt Ihr ihnen angetan?“, fauchte sie ihn an. „Nichts, was sie nicht überleben würden“, zischte er zurück und zog sie mit sich. Elea spürte, wie sie vor Wut anfing innerlich zu kochen.
Dieser grobe, arrogante Mistkerl!
„Wer seid Ihr, dass Ihr friedliebende und rechtschaffene Menschen mitten in der Nacht überfallt oder sogar aus ihrem Leben reißt und entführt?“ Maél war es nicht gewohnt, dass man mit ihm in einem solchen respektlosen Ton sprach. Normalerweise
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