Michael - der Beschützer
1. KAPITEL
M ichael O’Malley kannte keine schönere Frau als Lorelei Longstreet. Das lange Haar fiel wie Seide auf ihre nackten Schultern. Ein so hell leuchtendes Blond konnte man normalerweise nur künstlich erzielen. Michael kannte Lorelei jedoch schon, seit sie Zahnspangen getragen hatte. Daher wusste er, dass ihre Haarfarbe echt war.
Ihre grauen Augen funkelten wie Silber im Kerzenschein, als sie geschmeidig wie eine Katze das Schlafzimmer betrat. “Weißt du, wie lange ich auf diesen Moment gewartet habe?” fragte sie mit einem sinnlichen Lächeln. “Schon seit einer Ewigkeit”, beantwortete sie selbst die Frage.
Genau wie früher bekam Michael Herzklopfen. Ihr Reiz wurde nicht dadurch gemildert, dass sie nur spielte. Sie sah ihm tief in die Augen, während sie herausfordernd langsam den schmalen Träger ihres Santinnachthemds von der Schulter schob. Er schluckte heftig, als der zweite Träger folgte und das Nachthemd, das sich wie eine zweite Haut um ihre weiblichen Kurven schmiegte, auf den Boden glitt.
Plötzlich hielt sie eine Pistole in der Hand. “Tut mir Leid, Schatz, das ist nicht gegen dich persönlich gerichtet. Geschäft ist Geschäft.”
Sie lächelte bedauernd, als sie den Abzug betätigte.
Der Bildschirm wurde schwarz.
“Verdammt.” Michael starrte verdrossen auf den Fernseher. Was war denn mit ihm los? Bisher hatte er sich nicht für einen Masochisten gehalten, aber wenn es um Lorelei Longstreet ging, war er es eindeutig.
Vor einem Jahrzehnt hatte er sie zum letzten Mal persönlich getroffen. Noch länger war es her, dass er sie in den Armen gehalten und geküsst hatte. Trotzdem überlegte er jetzt beim Ansehen der Videokassette von “Hot Ice”, ihrem jüngsten Erfolg, was aus ihnen hätte werden können.
Hätten sie wirklich geheiratet, wie sie es sich ausgemalt hatte, wenn er damals mit ihr nach Los Angeles gegangen wäre? Und hätte sie von ihm ein Kind bekommen? Wäre sie trotzdem einer der größten Stars von Hollywood geworden? Und hätte sie ihn dann auch weiterhin geliebt … sofern sie ihn überhaupt jemals geliebt hatte?
Das war absolut kein angenehmer Gedanke. Er trank den letzten Schluck von dem Bier, das er zusammen mit der Pizza bestellt hatte.
Ja, sie hatte ihn geliebt – soweit ein junges Mädchen überhaupt im Stande war zu lieben. Michael war schon oft vorgeworfen worden, dass er geradezu aufreizend selbstsicher war. Nur wenn es um Lorelei ging, fühlte er sich unsicher.
Bei der Trennung war er achtzehn und Lorelei erst siebzehn gewesen. Sie hatte die dritte und fünfte Klasse übersprungen und den Abschluss der High School vorzeitig geschafft. Weinend hatte sie ihn angefleht, das Baseball-Stipendium anzunehmen, damit er zusammen mit ihr in Los Angeles aufs College gehen konnte. Doch dann hätte seine Mutter sich allein mit seinen beiden jüngeren und anstrengenden Brüdern herumschlagen müssen.
Er hatte dieses unbeschreiblich schöne Mädchen geliebt. Und es hatte ihn geschmerzt, ihrem Flugzeug nachzublicken. Trotzdem war er in New Orleans geblieben. Er war der Mann in der Familie, weil sein Vater, ein preisgekrönter Fotoreporter, ständig in der Welt herumreiste.
Natürlich waren sie beide damals zu jung gewesen, sodass ihre Romanze ein Opfer der Entfernung und der Zeit wurde. Seither hatte er andere Frauen kennen gelernt. Trotzdem blieb stets ein Platz in seinem Herzen für das erste Mädchen, das er jemals geliebt hatte, reserviert. Dieses Mädchen hatte sich in der Zwischenzeit zu einer kühlen, erotischen Blondine entwickelt, wie man sie in Hitchcock-Filmen fand.
Es hätte nicht geklappt, redete Michael sich ein, wie er das schon seit Jahren tat.
An der entgegengesetzten Küste des Kontinents fühlte sich das Objekt von Michaels Frust absolut nicht wie einer der meistgefeierten Stars des amerikanischen Films. Die Außenaufnahmen in Santa Monica gerieten immer mehr zum Alptraum.
Zuerst war es einem Fan trotz verstärkter Sicherheitsvorkehrungen gelungen, zu Lorelei vorzudringen und ihr ein zehnseitiges Liebesgedicht zu überreichen. Und das vor laufender Kamera, wodurch er die beste Aufnahme der aktuellen Szene verdorben hatte. Lorelei spielte eine menschenscheue Krimiautorin, deren Leben immer mehr einem ihrer Romane ähnelte. In dieser Szene musste sie vom Ende einer Landungsbrücke springen, um ihrem Verfolger zu entkommen. Darüber hinaus hatte ihr das verrückte Verhalten des Fans Angst gemacht.
Es war zwar schon August, aber das Meer war
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