Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
klar stiegen diePlejaden auf über dem Meer, angeführt von dem größten der sieben Sterne: Whanui.
Die Kinder begannen sofort, die Sternformation mit dem traditionellen Lied zu begrüßen, das ihre Lehrerin Matariki ihnen beigebracht hatte:
»Ka puta Matariki ka rere Whanui.
Ko te tohu tena o te tau e!«
Matariki ist zurück! Whanui beginnt seinen Flug.
Das Zeichen für ein neues Jahr!
»Und ein gutes Zeichen!«, freute sich Atamaries Mutter und nahm ihren Mann und ihre Tochter in die Arme. Kupe war extra von Wellington nach Parihaka gekommen, um das Neujahrsfest mit ihnen zu feiern. Er hatte oft dort zu tun, unter anderem bewarb er sich um einen der Maori-Sitze im Parlament. Jetzt küsste er Matariki und Atamarie und hörte zu, wie seine Frau die Zeichen deutete.
»Wenn die Sterne so klar am Himmel stehen, gibt es einen kurzen Winter, und wir können die Einsaat schon im September ausbringen«, belehrte sie ihre Familie und ihre Schüler. »Wenn sie dagegen verhangen wirken und nah beieinanderstehen, als müssten sie sich aneinander wärmen, dann wird der Winter hart, und das Pflanzen beginnt erst im Oktober.«
Atamarie runzelte mal wieder die Stirn. Ihre Lehrerin in Dunedin hätte wahrscheinlich nur ein paar Wolken dafür verantwortlich gemacht, wenn man die Sterne schlecht gesehen hätte. Atamarie stellte sich im Moment andere Fragen.
»Warum weinen die Großmütter eigentlich, Mommy?«, erkundigte sie sich. Die alten Leute waren beim Anblick der Sterne in Weinen und Wehklagen ausgebrochen. »Es ist doch schön, dass die Sterne da sind! Und ein neues Jahr!«
Matariki nickte und strich ihr langes schwarzes Haar zurück. »Ja, aber die Alten denken noch an das letzte Jahr. Sie nennen den Sternen die Namen der Menschen, die seit ihrem letzten Auftauchen verstorben sind, und beten für sie. Und dann beweinen sie die Toten zum letzten Mal, bevor das neue Jahr beginnt.«
Die alten Leute hatten nun auch begonnen, die hangi zu öffnen, wobei ihnen Kupe und die anderen Männer gleich halfen. Kurz darauf stieg aromatischer Duft aus den Erdöfen zum Himmel.
»Der Duft nährt die Sterne«, verriet Matariki, »und gibt ihnen Kraft nach ihrer langen Reise.«
Atamarie lief das Wasser im Munde zusammen, aber bevor sich die Menschen von den Speisen aus den Erdöfen nährten, gab es noch verschiedene Begrüßungszeremonien für die Sterne. Junge und Alte sangen und tanzten die traditionellen haka . Dazu ließen die Erwachsenen Bier- und Weinkrüge und Whiskeyflaschen kreisen, und Matariki und Kupe wurden wie immer wehmütig und sprachen mit ihren Freunden über die alten Zeiten in Parihaka. Wenn man ihnen glaubte, war das Leben damals ein einziges Fest gewesen. Das Dorf war angefüllt mit jungen Menschen aus allen Teilen Aotearoas, und jeden Abend gab es Lachen, Musik und Tanz.
Die meisten Erwachsenen verbrachten die gesamte Neujahrsnacht draußen an den Feuern, aber Atamarie und die anderen Kinder schliefen irgendwann ein – um gleich am nächsten Morgen wieder mit Feuereifer dabei zu sein. Am Neujahrstag ging das Fest schließlich weiter, wieder wurde getanzt, gesungen, wurden Spiele gespielt, und vor allem holten die Jungen ihre Fluggeräte hervor. Drachen zu bauen gehörte zu den Traditionen Aotearoas, die in Parihaka lebendig gehalten wurden. Das Maori-Wort dafür war manu .
Ein paar Fachleute in der Kunst des Drachenbaus hattendenn auch in den letzten Wochen im Dorf unterrichtet. Aber als Atamarie aus Dunedin gekommen war, hatten alle Männer und Kinder aus dem Dorf bereits ihre Arbeiten beendet, sie selbst hatte nicht mehr mitmachen können. Insofern stand sie jetzt mit leeren Händen daneben, während die anderen dem großen Augenblick entgegenfieberten, ihre manu als Mittler zwischen der Welt und den Sternen, den Göttern und den Menschen in den Himmel zu schicken. Natürlich war sie etwas traurig, den Lehrgang verpasst zu haben, aber dennoch konnte Atamarie es kaum abwarten, die Drachen fliegen zu sehen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Mädchen bewunderte sie nicht in erster Linie den bunten Schmuck der manu , bestehend aus Federn und Muscheln, oder die kunstvolle Bemalung, die ihnen Gesichter gab und sie zu birdmen – Vogelmenschen – machte. Atamarie war es wichtiger, herauszufinden, warum sich diese flachen, aber doch recht schweren Gestelle aus Holz und Blättern überhaupt in die Lüfte erhoben.
Sie schlenderte zu einem der Jungen hinüber, der einen besonders großen, liebevoll mit
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