Die Tränen der Maori-Göttin - Lark, S: Tränen der Maori-Göttin
dunklere Haut als die meisten Weißen, und ihre Augen standen ein wenig schräg, aber ansonsten kam sie ganz nach ihrer Großmutter Kathleen – einer klassischen Schönheit mit hohen Wangenknochen, einer geraden Nase und feingeschnittenen Lippen.
»Aber wie konnte er …? Dein Vorname …«
Atamarie zuckte die Schultern. »Du musst zugeben, dassauch viele Maori-Männernamen auf i enden«, meinte sie. »Und der Mann ist Ingenieur, kein Sprachwissenschaftler. Das merkte man auch daran, dass ihm gleich erst mal die Worte fehlten. Aber ich hab mich dann vorgestellt, ihm mein Zeugnis hingehalten …«
»Was hat er dazu gesagt?«, fragte Roberta.
Atamarie lachte. »Solange er mich nicht angucken musste, war alles gut. Wobei ich ja eigentlich gar nicht furchterregend aussehe, oder?« Roberta verdrehte die Augen. Atamarie wusste genau, dass sie einen mehr als ansprechenden Anblick bot. »Aber immer, wenn er von den Papieren aufguckte, schien er an seinem Verstand zu zweifeln. Und dann fragte er mich, ob ich denn auch wirklich wüsste, was hier auf mich zukäme, und betete den Lehrplan runter: Grundsätze des Hoch- und Tiefbaus, Vermessungswesen, technisches Zeichnen, praktische Geometrie – Theorie und Praxis der Konstruktion von Dampfmaschinen …«
Atamarie lächelte voller Vorfreude.
»Und, was hast du gesagt?« Roberta ahnte bereits Schreckliches.
Atamarie blinzelte. »Na, was schon? Ich hab ihm gesagt, ich interessierte mich für Flugmaschinen. Und dann auch ein bisschen von Cayley und Lilienthal erzählt, er sollte ja nicht denken, ich wäre so eine Art … hm … Luftikus!« Sie lachte schon wieder.
Roberta öffnete die Tür des Cafés. »Ein wahres Wunder, dass du nicht gleich rausgeflogen bist«, bemerkte sie.
Atamarie hob die Brauen. »Dann hätte Onkel Sean das College verklagt«, sagte sie gelassen. »Aber Professor Dobbins trug es sowieso mit Fassung. Er war ganz nett und lächelte sogar. Und meinte, er fände es immer schön, wenn seine Studenten hoch hinaus wollten. Dann konnte ich gehen – und den nächsten sprachlos machen. Der Student, der den Neuen dieHochschule zeigen sollte, hat deutlich länger gebraucht, bis er wieder zu sich kam!«
Das Canterbury College of Engineering bestand seit zwölf Jahren und hatte mit zwei Teilzeitdozenten und zweiundzwanzig Studenten klein angefangen. Nach wie vor war der Studentenkreis überschaubar – und Atamarie würde als erste Frau ins College eintreten.
»Und wie war’s sonst?«, fragte Roberta. »Mit Heather? Habt ihr was unternommen?«
Atamarie zuckte die Schultern. »Erst mussten wir ja mal ein Zimmer finden. Aber das war einfach, Heather und Chloé haben Bekannte in Christchurch, zwei ganz nette Frauen. Wohnen zusammen wie Heather und Chloé und haben einen Buchladen. Da krieg ich auch gleich die ganzen Fachbücher. Und das Haus ist hübsch und nah an der Universität. Das Zimmer schön groß – Herrenbesuch soll ich vorher ankündigen!«
Sie kicherte. Die letzte Regelung war großzügig, gewöhnlich war es Studenten vollständig verboten, andersgeschlechtliche Freunde oder Freundinnen mit aufs Zimmer zu nehmen. Aber Heather und Chloé waren aufgeschlossen und modern – und ihre Freundinnen offensichtlich auch.
»Du willst dir doch wohl nicht gleich einen Freund suchen!«, empörte sich Roberta.
Atamarie seufzte. »Robbie, ich bin das einzige weibliche Wesen, das Ingenieurwissenschaften studiert. Wenn ich nicht völlig vereinsamen will, muss ich mich zwangsläufig mit den Jungen anfreunden. Was ja nicht gleich heißen muss, das Bett mit ihnen zu teilen.«
Roberta lief umgehend rot an, als Atamarie so unverblümt von Geschlechtsverkehr sprach. Die beiden jungen Frauen waren aufgeklärt – auch Roberta hatte die Ferien schon in Parihaka verbracht und den lockeren Umgang der Maori-Frauen mit der Liebe mitbekommen. Trotzdem hätte sie sich vorsichtiger ausgedrückt. Und sie selbst hatte auch noch keinerlei praktische Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht, während Atamarie schon mal mit hübschen Jungen in Parihaka Küsse tauschte. Roberta war romantischer veranlagt. Sie konnte sich durchaus verlieben, aber das behielt sie für sich …
»Ansonsten waren wir dann noch auf der Rennbahn. In Addington. Weil Rosie unbedingt hinwollte. Aber leider lief gerade kein Trabrennen. Lustig war’s trotzdem. Lord Barrington hat uns in die Besitzerloge eingeladen, wir haben Sekt getrunken – und wir durften auf Pferde
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