Die Traenen des Mangrovenbaums
des Begräbnisses kaum mehr erwarten. Ihr war zumute, als liege sie begraben unter Haufen von moderndem Laub. Der Leichengeruch, den das Haus angenommen hatte, zog sich bis in ihr Schlafzimmer: der bittere Dunst erlöschender Kerzen, der Duft des Blumenschmucks und etwas Ekelhaftes, Undefinierbares. Sie dachte daran, wie Raharjos Leichnam in den Flammen zu Asche zerfallen war, und wünschte, sie könnte in einem solchen reinigenden Feuersturm diese leere Hülle loswerden, die einmal Simeon Vanderheyden gewesen war.
Wenigstens lenkten die zahlreichen, mit einem Begräbnis verbundenen häuslichen und gesellschaftlichen Pflichten sie ab. Auch wenn sie in der Hamburger Gesellschaft missachtet worden waren, hatte Simeon doch viele Freunde unter Gleichgesinnten gehabt. Alle die Professoren, Buchhändler, Antiquare, Kräuterhändler und Gärtner mussten zum Begräbnis und danach zum Leichenschmaus eingeladen werden. Anna Lisa weigerte sich entschieden, irgendjemand von denen einzuladen, die sie aus ihrem Kreis ausgeschlossen hatten, und mochten sie noch so reich und bedeutend sein. Kein Senator, kein Großkaufmann, kein Bischof würde die Schwelle ihres Hauses übertreten, der sie nicht auch zu Lebzeiten ihres Gatten besucht hatte. Ihr Vater protestierte: Sie könne doch nicht alle gute Sitte missachten, nur weil sie persönlich beleidigt sei!
Sie fuhr ihn an: Wer mit ihren Arrangements für das Begräbnis nicht einverstanden sei, könne diesem ja fernbleiben. Das gelte auch für ihre Familie.
Elmer Lobrecht stellte seufzend ein ums andere Mal fest, dass er sein einstiges Püppchen nicht wiedererkannte, aber er war jetzt zu alt, um sich auf einen Streit mit ihr einzulassen, also gab er nach.
Als der Morgen kam, an dem Simeon Vanderheyden zur letzten Ruhe gebettet werden sollte, erschien es Anna Lisa, als wohnte sie einer Theateraufführung bei. Das exklusive Bestattungsunternehmen, dem sie das Zeremoniell anvertraut hatte, hatte schon die Begräbnisse von Mitgliedern des Kaiserhauses ausgerichtet; dort saß jeder Handgriff. Alles lief wie am Schnürchen, dafür sorgte ein eigener Zeremonienmeister, der vom Prediger bis zum Kranzträger jeden scharf im Auge behielt.
Der dumpfe, dem Röhren eines Elefanten ähnliche Ton eines Bombardons gab das Signal zum Beginn des Pompes funèbres, als die Witwe in tiefer Trauer, Kopf und Gesicht von einem bis zu den Knien reichenden schwarzen Schleier verhüllt, die Freitreppe ihres Hauses hinabschritt. Simone war an ihrer rechten Seite, zu ihrer Linken ging Pahti. Zwar hatte der Zeremonienmeister bei der Planung Einspruch erhoben: Der erste Platz hinter dem Leichenwagen sei der engsten Familie vorbehalten, die Dienerschaft dürfte, nach ihrem Rang gereiht, erst viel später folgen. Aber Anna Lisa beharrte darauf. Sie wusste am besten, dass der Javaner es mehr als jeder andere verdient hatte, seinen Herrn auf seinem letzten Weg zu begleiten.
Das Bombardon verstummte, und nach einigen Sekunden Pause fing die zu beiden Seiten des schwarz verhängten Haustors postierte Kapelle auf ihren mit Trauerflor gezierten Instrumenten zu spielen an. Sechs in schwarze Livreen gekleidete Träger mit Dreispitzen auf den Köpfen hoben den Sarg von seinem Sockel und nahmen ihn auf die Schultern. Anna Lisa dachte, dass vermutlich zwei von ihnen genügt hätten, um die leichte Last des abgemagerten Körpers zu tragen, aber für einen Mann von gewissem gesellschaftlichem Rang waren nun einmal sechs vorgesehen, sei er leicht oder schwer. Gemessen schritten sie durch die Halle und unter der im Nieselregen schlaff herabhängenden Trauerdekoration des Tores auf die Straße hinaus. Dort wartete bereits in Formation der für Leichenbegängnisse großer erster Klasse vorgesehene Trauerzug.
Voran ritt ein Herold, hinter ihm zwei Reiter mit Laternen auf hohen Stangen, deren Licht den Nebel gelblich färbte. Als sie sich in Bewegung setzten, löste sich die Musikkapelle vom Hauseingang und folgte gemessenen Schrittes. Nun führten in spanische Tracht gekleidete Stallmeister die drei Paar in bodenlange Trauerschabracken gehüllten und mit schwarzen Federstößen geschmückten Pferde herbei, die den Prachtleichenwagen zogen. Elmer Lobrecht hatte darauf bestanden, dass wenigstens beim Leichenbegängnis nicht gespart werden durfte, wenn seine Tochter schon die Honoratioren vor den Kopf stoßen wollte. Er hatte eine geschlossene, mit vier Laternen und einer Urne auf dem Dach geschmückte Kutsche aus schwarz
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